Frühjahr 1884 25 [101-200]
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Von den Mitteln der Verschönerung. Eine Albernheit, die dem alten Kant zur Last zu legen ist: “es gefällt ohne Interesse.” Und da weist Mancher noch mit Stolz darauf hin, daß er beim Anblick einer griechischen Venus usw. Dagegen habe ich den Zustand beschrieben, den das Schöne hervorbringt: das Wesentlichste ist aber vom Künstler auszugehn. Sich den Anblick der Dinge erträglich zu machen, sie nicht zu fürchten, und ein scheinbares Glück in sie hineinlegen—Grundempfindung, daß der glückliche, Sich selber Liebende Mensch kein Wehethäter ist.— Dieses Umdeuten des Thatsächlichen in’s Glückliche “Göttliche” hat nun der Mensch auch auf sich verwandt: diese Mittel der Selbst-Verschönerung und der Verschönerung des Menschen überhaupt ist Moral. Darin ist: 1) Wegsehn 2) Sehen, was gar nicht da ist—Zusammenfassen Vereinfachen 3) Sich verstellen, so daß Vieles nicht sichtbar wird 4) sich verstellen, so daß das Sichtbarwerdende einen falschen Schluß ergiebt.— Das Produkt ist der “gute Mensch,” wozu immer eine Gesellschaft gehört. Es ist also im Wesen der Moral Etwas, das wider die Redlichkeit geht: weil sie Kunst ist. Wie ist es nun möglich, daß es eine “Redlichkeit” giebt, welche die Moral selber zersetzt?— 1) Diese Redlichkeit muß aus dem Thatsachen-Sinn abzuleiten sein: nämlich man hat zu viel Schaden gehabt von dieser Heuchelei der Verschönerung, die Geschädigten reißen die Maske herunter 2) es giebt einen Genuß des Häßlichen, wenn es furchtbar ist: die Emotion des furchtbaren Anblicks der wahren menschlichen Natur ist oft gesucht worden von den Moralisten 3) der christliche Affekt der Selbst-Zerstörung, der Widerspruch gegen alles Verschönernde hat gearbeitet: die Lust der Grausamkeit. 4) der alte Sklaven-Sinn, welcher sich niederwerfen will und schließlich vor der nackten “Thatsache” niederwirft, nachdem nichts übrig geblieben ist, Vergötterung der facta, der Gesetze usw. ein Ausruhen nach langer Arbeit der Zerstörung von Göttern, Aristokratien, Vorurtheilen usw., und Folge eines Blicks ins Leere)
Das Gesammt-Resultat aller Moralisten: der Mensch ist böse—ein Raubthier. Die “Verbesserung” geht nicht auf den Grund, und ist mehr äußerlich, das “Gute” ist wesentlich Decoration, oder Schwäche.
Dabei aber standen die Moralisten selber unter der Nachwirkung der moral Urtheile, oder des Christenthums, der Welt-Verneinung: Niemand noch hat ein Vergnügen an diesem Resultat gehabt. Das heißt: sie haben die Werthschätzung der “Guten” selber!
“Man muß den Menschen verschönern und erträglich machen”: dagegen sagte das Christenthum und der Buddh—man muß ihn verneinen. Es hat also im Grunde nichts so gegen sich als den guten Menschen: den haßt es am meisten. Deshalb suchen die Priester Selbst-Zerstörung des Genusses an sich mit allen Mitteln.
Die griechischen Philosophen suchten nicht anders “Glück” als in der Form, sich schön zu finden: also aus sich die Statue zu bilden, deren Anblick wohlthut (keine Furcht und Ekel erregt)
Der “häßlichste Mensch” als Ideal weltverneinender Denkweisen. Aber auch die Religionen sind noch Resultate jenes Triebs nach Schönheit (oder es aushalten zu können): die letzte Consequenz wäre—die absolute Häßlichkeit des Menschen zu fassen, das Dasein ohne Gott, Vernunft usw.—reiner Buddhismus. Je häßlicher, desto besser.
Diese extremste Form der Welt-Verneinung habe ich gesucht. “Es ist alles Leiden,” es ist alles Lüge, was “gut” scheint (Glück usw.) Und statt zu sagen “es ist alles Leiden” habe ich gesagt: es ist alles Leiden-machen, Tödten, auch im besten Menschen.
“Es ist alles Schein”—es ist alles Lüge
“Es ist alles Leiden”—es ist alles Wehe-Thun, Tödten, Vernichten, Ungerecht-Sein
Das Leben selber ist ein Gegensatz zur “Wahrheit” und zur “Güte”—ego
Das Leben-Bejahen—das selber heißt die Lüge bejahen.— Also man kann nur mit einer absolut unmoralischen Denkweise leben. Aus dieser heraus erträgt man dann auch wieder die Moral und die Absicht auf Verschönerung.— Aber die Unschuld der Lüge ist dahin!
Die Griechen als Schauspieler. Ihr “Idealismus.”
Die Ver-Griechung einmal darstellen als Roman. Rückwärts—auch die Sinnlichkeit, immer höher strenger. Endlich bis zur Offenbarung des Dionysischen. Entdeckung des Tragischen: “Bock und Gott.”