Frühjahr 1884 25 [401-526]
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[Vgl. Arthur Schopenhauer, Sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 4: Schriften zur Naturphilosophie und zur Ethik. Die beiden Grundprobleme der Ethik. Preisschrift über die Grundlage der Moral. Leipzig: Brockhaus, 1874.]
Die Moralen Kants, Schopenhauers gehen, ohne es zu merken, schon von einem moral[ischen] Kanon aus: der Gleichheit der Menschen, und daß was für den Einen Moral ist, es auch für den Anderen sein müsse. Das ist aber schon die Consequenz einer Moral, vielleicht einer sehr fragwürdigen.
Ebenso setzt die Verwerfung des Egoismus schon einen moral[ischen] Kanon voraus: warum wird er verworfen? Weil er als verwerflich gefühlt wird. Aber das ist schon die Wirkung einer Moral und keiner sehr durchdachten!
— Und daß man eine Moral will, setzt schon einen mor[alischen] Kanon voraus! Man sollte doch Ehrfurcht haben vor dieser einverleibten Moral der Selbsterhaltung! Sie ist bei weitem das feinste System der Moral!
Die thatsächliche Moralität des Menschen in dem Leben seines Leibes ist hundert Mal größer und feiner als alles begriffliche Moralisiren es war. Die vielen “Du sollst,” die fortwährend in uns arbeiten! Die Rücksichten von Befehlenden und Gehorchenden unter einander! Das Wissen um höhere und niedere Funktionen!
Der Versuch zu machen, alles Zweckmäßig-Scheinende als das allein Leben-Erhaltende und folglich allein Erhaltene zufassen — —
Wie der Zweck sich zum eigentlichen Vorgang verhält, so das moral[ische] Urtheil zu dem wirklichen vielfältigeren und feineren Urtheilen des Organismus—nur ein Ausläufer und Schlußakt davon.