August-September 1885 41 [1-16]
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Zu den höchsten und erlauchtesten Menschen-Freuden, in denen das Dasein seine eigene Verklärung feiert, kommen, wie billig, nur die Allerseltensten und Best-Gerathenen: und auch diese nur, nachdem sie selber und ihre Vorfahren ein langes vorbereitendes Leben auf dieses Ziel hin, und nicht einmal im Wissen um dieses Ziel, gelebt haben. Dann wohnt ein überströmender Reichthum vielfältigster Kräfte und zugleich die behendeste Macht eines “freien Wollens” und herrschaftlichen Verfügens in Einem Menschen liebreich bei einander, der Geist ist dann ebenso in den Sinnen heimisch und zu Hause, wie die Sinne in dem Geiste zu Hause und heimisch sind; und Alles, was nur in diesem sich abspielt, muß auch in jenen ein feines außerordentliches Glück und Spiel auslösen. Und ebenfalls umgekehrt!—man denke über diese Umkehrung bei Gelegenheit von Hafis nach; selbst Goethe, wie sehr auch schon im abgeschwächten Bilde, giebt von diesem Vorgange eine Ahnung. Es ist wahrscheinlich, daß bei solchen vollkommenen und wohlgerathenen Menschen zuletzt die allersinnlichsten Verrichtungen von einem Gleichniß-Rausche der höchsten Geistigkeit verklärt werden; sie empfinden an sich eine Art Vergöttlichung des Leibes und sind am entferntesten von der Asketen-Philosophie des Satzes “Gott ist ein Geist”: wobei sich klar heraus stellt, daß der Asket “der mißrathene Mensch” ist, welcher nur ein Etwas an sich, und gerade das richtende und verurtheilende Etwas, gut heißt—und “Gott” heißt. Von jener Höhe der Freude, wo der Mensch sich selber und sich ganz und gar als eine vergöttlichte Form und Selbst-Rechtfertigung der Natur fühlt, bis hinab zu der Freude gesunder Bauern und gesunder Halbmensch-Thiere: diese ganze lange ungeheure Licht- und Farbenleiter des Glücks nannte der Grieche, nicht ohne die dankbaren Schauder dessen, der in ein Geheimniß eingeweiht ist, nicht ohne viele Vorsicht und fromme Schweigsamkeit—mit dem Götternamen: Dionysos.— Was wissen denn alle neueren Menschen, die Kinder einer brüchigen vielfachen kranken seltsamen Mutter, von dem Umfange des griechischen Glücks, was könnten sie davon wissen! Woher nähmen gar die Sklaven der “modernen Ideen” ein Recht zu dionysischen Feiern!