August-September 1885 41 [1-16]
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Als der griechische Leib und die griechische Seele “blühte,” und nicht etwa in Zuständen krankhafter Überschwenglichkeit und Tollheit, entstand jenes geheimnißreiche Symbol der höchsten bisher auf Erden erreichten Welt-Bejahung und Daseins-Verklärung. Hier ist ein Maaßstab gegeben, an dem Alles, was seitdem wuchs, als zu kurz, zu arm, zu eng befunden wird:—man spreche nur das Wort “Dionysos” vor den besten neueren Namen und Dingen aus, vor Goethe etwa, oder vor Beethoven, oder vor Shakespeare, oder vor Raffael: und auf Ein Mal fühlen wir unsre besten Dinge und Augenblicke gerichtet. Dionysos ist ein Richter!— Hat man mich verstanden?— Es ist kein Zweifel, daß die Griechen die letzten Geheimnisse “vom Schicksale der Seele” und Alles, was sie über die Erziehung und Läuterung, vor Allem über die unverrückbare Rangordnung und Werth-Ungleichheit von Mensch und Mensch wußten, sich aus ihren dionysischen Erfahrungen zu deuten suchten: hier ist für alles Griechische die große Tiefe, das große Schweigen,—man kennt die Griechen nicht, so lange hier der verborgene unterirdische Zugang noch verschüttet liegt. Zudringliche Gelehrten-Augen werden niemals etwas von diesen Dingen sehen, so viel Gelehrsamkeit auch im Dienste jener Ausgrabung noch verwendet werden muß—; selbst der edle Eifer solcher Freunde des Alterthums, wie Goethens und Winckelmanns, hat gerade hier etwas Unerlaubtes, fast Unbescheidenes. Warten und sich-vorbereiten; das Aufspringen neuer Quellen abwarten, in der Einsamkeit sich auf fremde Gesichte und Stimmen vorbereiten; vom Jahrmarkts-Staube und -Lärm dieser Zeit seine Seele immer reiner waschen; alles Christliche durch ein Überchristliches überwinden und nicht nur von sich abthun—denn die christliche Lehre war die Gegenlehre gegen die dionysische—; den Süden in sich wieder entdecken und einen hellen glänzenden geheimnißvollen Himmel des Südens über sich aufspannen; die südliche Gesundheit und verborgene Mächtigkeit der Seele sich wieder erobern; Schritt vor Schritt umfänglicher werden, übernationaler, europäischer, übereuropäischer, morgenländischer, endlich griechischer—denn das Griechische war die erste große Bindung und Synthesis alles Morgenländischen—: und eben damit der Anfang der europäischen Seele, die Entdeckung unserer “neuen Welt”:—wer unter solchen Imperativen lebt, wer weiß, was dem eines Tages begegnen kann? Vielleicht eben—ein neuer Tag!