Oktober 1888 23 [1-14]
23 [4]
Der Immoralist.
| A. Psychologie des Guten: ein décadent oder das Heerdenthier B. seine absolute Schädlichkeit: als Parasitenform auf Unkosten der Wahrheit und der Zukunft C. der Macchiavellismus der Guten ihr Kampf um die Macht ihre Mittel, zu verführen ihre Klugheit in der Unterwerfung z.B. vor Priestern vor Mächtigen D. “Das Weib” im Guten |
| “Güte” als feinste Sklaven-Klugheit, Rücksicht überall gebend und folglich empfangend. |
| E. Physiologie der Guten an welchem Punkt der Gute auftritt in Familien, in Völkern zu gleicher Zeit, wo die Neurosen auftreten Gegensatz-Typus: die wahre Güte, Vornehmheit, Größe der Seele, die aus dem Reichthum, aus dem — — — welche nicht giebt, um zu nehmen,—welche nicht sich damit erheben will, daß sie gütig ist,—die Verschwendung als Typus der wahren Güte, der Reichthum an Person als Voraussetzung |
der Begriff “Pflicht”—eine Unterwerfung, Folge der Schwäche um nicht mehr fragen und wählen zu müssen
die Schwäche des Heerdenthiers erzeugt eine ganz ähnliche Moral, wie die Schwäche der décadents:
— sie verstehen sich, sie verbünden sich ...
die großen décadence-Religionen rechnen immer auf die Unterstützung durch die Heerde ...
An sich fehlt alles Krankhafte am Heerdenthier, es ist unschätzbar selbst; aber unfähig, sich zu leiten, braucht es einen “Hirten”—das verstehen die Priester ...
der “Staat” ist nicht intim, heimlich genug, die “Gewissensleitung” entgeht ihm
Worin das Heerdenthier krank gemacht wird durch den Priester?
| Der décadence-Instinkt im Guten |
| 1) | die Trägheit: er will nicht mehr sich verändern, nicht mehr lernen, er sitzt als “schöne Seele” in sich selber ... |
| 2) | die Widerstands-Unfähigkeit: z.B. im Mitleiden,—er giebt nach (“nachsichtig” “tolerant” ... “er versteht Alles”) “Frieden und den Menschen ein Wohlgefallen” |
| 3) | er wird gelockt durch alles Leidende und Schlechtweggekommene—er “hilft” gerne er ist instinktiv eine Verschwörung gegen die Starken |
| 4) | er bedarf der großen Narcotica,—wie “das Ideal,” der “große Mann,” der “Held,” er schwärmt ... |
| 5) | die Schwäche, die sich in der Furcht vor Affekten, starkem Willen, vor Ja und Nein äußert: er ist liebenswürdig, um nicht feind sein zu müssen,—um nicht Partei nehmen zu müssen — |
| 6) | die Schwäche, die sich im Nicht-sehn-Wollen verräth, überall, wo vielleicht Widerstand nöthig werden würde (“Humanität”) |
| 7) | wird verführt durch alle großen décadents: “das Kreuz” “die Liebe” den “Heiligen” die Reinheit im Grunde lauter lebensgefährliche Begriffe und Personen — auch die große Falschmünzerei in Idealen |
| 8) | die intellektuelle Lasterhaftigkeit — Haß auf die Wahrheit, weil sie “keine schönen Gefühle” mit sich bringt — Haß auf die Wahrhaftigen, — — — |
der Selbsterhaltungs-Instinkt des Guten, der sich die Zukunft der Menschheit opfert: im Grunde widerstrebt er schon
der Politik
jeder weiteren Perspektive überhaupt
jedem Suchen, Abenteuern, Unbefriedigt-sein
er leugnet Ziele, Aufgaben, bei denen er nicht zuerst in Betracht kommt
er ist frech und unbescheiden als “höchster” Typus und will über Alles nicht nur mitreden, sondern urtheilen.
er fühlt sich denen überlegen, welche “Schwächen” haben: diese “Schwächen” sind die Stärken des Instinkts—wozu auch der Muth gehört, sich ihrer nicht zu schämen
Der Gute als Parasit. Er lebt auf Unkosten des Lebens:
als Weglügner der Realität
als Gegner der großen Instinkt-Antriebe des Lebens
als Epikureer eines kleinen Glücks, der die große Form des Glücks als unmoralisch ablehnt
— da er nicht mit Hand anlegt und fortwährend Fehlgriffe und Täuschungen verschuldet, so stört er jedes wirkliche Leben und vergiftet es überhaupt durch seinen Anspruch, etwas Höheres darzustellen
— in seiner Einbildung, höher zu sein, lernt er nicht, verändert er sich nicht, sondern nimmt Partei für sich, auch wenn er noch so große malheurs hervorgebracht hat.