Ende 1876 - Sommer 1877 23 [1-100]
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Alle die, welche Maximen machen, verfallen leicht in den Fehler, vom Menschen etwas Allgemeines auszusagen, was von Zeiten oder Classen der Gesellschaft gilt; aber dasselbe haben alle Philosophen gethan, welche über die Menschen geschrieben haben—erst die Historie in Verbindung mit der Thiergeschichte läßt erkennen, wie groß der Mangel an Besonnenheit war. So verweist Schopenhauer, um zu zeigen, daß das Leben der Menschen einen moralischen metaphysischen Zweck habe, darauf, daß am Ende des Lebens man sich um seine moralischen Qualitäten bewußt werde—als ob ein solches Gefühl, wenn es jetzt wirklich allgemein existirte, irgend etwas anderes beweisen könnte als daß durch bestimmte Meinungen und Glaubenssätze die Menschen sich gewöhnt haben, in der Nähe des Todes an ihre Sünden zu denken: das heißt: eine solche Thatsache, wie sie Schopenhauer hinstellt, beweist, daß gewisse metaphysische Vorstellungen existiren und existirt haben, nicht aber daß sie wahr sind. Nun kommt dazu, daß es eine zeitlich sehr begrenzte Thatsache ist und daß z. B. im Alterthum man sehr oft, ohne an Sünden zu denken, starb. Und wenn es eine ganz allgemein, für alle Perioden der Menschheit und für jeden Menschen geltende Beobachtung wäre, es ist kein Beweis für die Wahrheit des von Schopenhauer behaupteten Satzes damit gegeben.