Ende 1876 - Sommer 1877 23 [1-100]
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Die Besonnenheit der antiken Dichter zeigt sich darin, daß sie das Gefühl von einer Stufe zur andern heben und es so sehr hoch steigern. Die Neuern versuchen es gerne mit einem Überfalle; oder: sie ziehen gleich mit aller Gewalt am Glockenstrange der Leidenschaft. Mißlingt es ihnen aber am Anfang, so sind sie auch verloren. Ein gutes Buch sollte, als Ganzes, einer Leiter der Empfindung gleichen, es müßte nur von Einer Seite her einen Zugang haben, der Leser müßte sich verwirrt fühlen, wenn er es auf eigne Faust versuchte, darin sich seinen Weg zu machen. Jedes gute Buch würde sich so selber schützen; wer schleppt gerne einen Strick mit aufgereihten Worten hinter sich drein, welche er zunächst nicht versteht? Im Gleichniß gesprochen: als man mir den standhaften Prinzen Calderon’s in der Schlegelschen Übersetzung vorlas, gieng mir’s so: ich zog meinen Strick eine Zeitlang und ließ ihn endlich mißmuthig fahren, machte einen neuen Versuch und zog wieder einen Faden voller Worte hinter mir, aber selten kam das erklärende erlösende Wort: Qual Verdruß, wie bei einem Bilde, auf dem alle Zeichnung verblaßt ist und Eines Vieles bedeuten kann.