Sommer 1872 - Anfang 1873 19 [1-150]
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Der letzte Philosoph—es können ganze Generationen sein. Er hat nur zum Leben zu helfen. “Der letzte,” natürlich relativ. Für unsere Welt. Er beweist die Nothwendigkeit der Illusion, der Kunst und der das Leben beherrschenden Kunst. Es ist für uns nicht möglich, wieder eine solche Reihe von Philosophen zu erzeugen, wie Griechenland zur Zeit der Tragödie. Ihre Aufgabe erfüllt jetzt ganz allein die Kunst. Nur als Kunst ist noch so ein System möglich. Vom jetzigen Standpunkt aus fällt auch jene ganze Periode der griechischen Philosophie mit ins Bereich ihrer Kunst.
Die Bändigung der Wissenschaft geschieht jetzt nur noch durch die Kunst. Es handelt sich um Werthurtheile über das Wissen und Vielwissen.
Ungeheure Aufgabe und Würde der Kunst in dieser Aufgabe! Sie muß alles neu schaffen und ganz allein das Leben neu gebären! Was sie kann, zeigen uns die Griechen: hätten wir diese nicht, so wäre unser Glaube chimärisch.
Ob eine Religion hier hinein, in das Vacuum hinein, sich bauen kann, hängt von ihrer Kraft ab. Wir sind der Kultur zugekehrt: das “Deutsche” als erlösende Kraft!
Jedenfalls müßte die Religion, welche es könnte, eine ungeheure Liebeskraft haben: an der zerbricht auch das Wissen, wie es an der Sprache der Kunst zerbricht.
Aber vielleicht vermag die Kunst sogar sich eine Religion zu schaffen, den Mythus zu gebären? So bei den Griechen.