Sommer 1872 - Anfang 1873 19 [1-150]
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Auch das Moralische hat keine andere Quelle als den Intellekt, aber die verbindende Bilderkette wirkt hier anders als bei dem Künstler und Denker: sie reizt zur That. Ganz gewiß ist das Empfinden des Ähnlichen, das Identificiren nothwendige Voraussetzung. Sodann Erinnerung an eignen Schmerz. Gut sein hieße also: sehr leicht identificiren und sehr schnell. Es ist also eine Verwandlung, ähnlich wie bei dem Schauspieler.
Alle Rechtschaffenheit und alles Recht dagegen kommt aus einem Gleichgewicht der Egoismen: gegenseitige Anerkennung sich nicht zu schädigen. Also aus Klugheit. In der Form von festen Grundsätzen sieht es dann wieder anders aus: als Charakterfestigkeit. Liebe und Recht Gegensätze: Kulminationspunkt Aufopfern für die Welt.
Das Vorausnehmen von möglichen Unlustempfindungen bestimmt die Handlung des rechtlichen Menschen: er kennt empirisch die Folgen der Verletzung des Nächsten: aber auch der Verletzung seiner selbst.
Dagegen ist die christliche Ethik der Gegensatz: sie beruht auf dem Identificiren seiner selbst mit dem Nächsten, anderen wohlthun ist hier ein Sich-selbst-wohlthun, mit anderen leiden ist hier gleich dem eignen Leid. Liebe ist mit einer Begierde zur Einheit verbunden. [Vgl. Johann Karl Friedrich Zöllner, Über die Natur der Cometen. Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntniss. Leipzig: Engelmann, 1872:362ff.]