Sommer 1872 - Anfang 1873 19 [1-150]
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Die Schöpfung einer Religion würde darin liegen, daß einer für sein in das Vacuum hineingestelltes mythisches Gebäude Glauben erweckt, d. h. daß er einem außerordentlichen Bedürfnisse entspricht.
Es ist unwahrscheinlich, daß das je wieder geschieht, seit der Kritik der reinen Vernunft.
Dagegen kann ich mir eine ganz neue Art des Philosophen-Künstlers imaginiren, der ein Kunstwerk hinein in die Lücke stellt, mit ästhetischem Werthe.
Das Gutsein und das Mitleiden ist glücklicherweise unabhängig vom Verderben und Gedeihen einer Religion: dagegen ist das Guthandeln sehr bestimmt durch religiöse Imperative. Die weitaus größte Masse der guten pflichtmäßigen Handlungen hat keinen ethischen Werth, sondern ist erzwungen.
Die praktische Moralität wird bei allem Zusammenbrechen einer Religion sehr leiden. Die strafende und belohnende Metaphysik scheint unentbehrlich.
Wenn man die Sitte, die mächtige Sitte schaffen kann! Damit hat man auch die Sittlichkeit.
Die Sitte aber durch Vorangehn einzelner mächtiger Persönlichkeiten gebildet.
Auf erwachende Güte in der Masse der Besitzenden rechne ich nicht, wohl aber könnte man sie zu einer Sitte bringen, zu einer Pflicht gegen das Herkommen.
Wenn die Menschheit, was sie bis jetzt auf den Bau von Kirchen, auf Erziehung und Schulen verwendet, wenn sie den Intellekt, den sie auf Theologie, jetzt auf Erziehung richtet.