Anfang 1874 bis Frühjahr 1874 32 [1-83]
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Wagner bezeichnet als den Irrthum im Kunstgenre der Oper, dass ein Mittel des Ausdrucks, die Musik, zum Zwecke, der Zweck des Ausdrucks aber zum Mittel gemacht war.
Also die Musik gilt ihm als Mittel des Ausdrucks—sehr characteristisch für den Schauspieler. Jetzt war man bei einer Symphonie gefragt. wenn die Musik hier Mittel des Ausdrucks ist, was ist der Zweck? Der kann also nicht in der Musik liegen: das, was seinem Wesen nach Mittel des Ausdrucks ist, muss nun etwas haben, was es ausdrücken soll: Wagner meint das Drama. Ohne dies hält er die Musik allein für ein Unding: es erweckt die Frage “warum der Lärm?”. Deshalb hielt er die 9te Symphonie für die eigentliche That Beethovens, weil er hier durch Hinzunahme des Wortes der Musik ihren Sinn gab, Mittel des Ausdrucks zu sein.
Mittel und Zweck—Musik und Drama—ältere Lehre.
Allgemeines und Beispiel—Musik und Drama—neuere Lehre.
Ist die letztere wahr, so darf das Allgemeine ganz und gar nicht abhängig vom Beispiel sein, d. h. die absolute Musik ist im Recht, auch die Musik des Drama’s muss absolute Musik sein.
Nun ist das immer noch mehr ein Gleichniss und Bild—es ist nicht völlig wahr, dass das Drama nur ein Beispiel zur Allgemeinheit der Musik ist: Gattung und Species, worin doch? Als Bewegung von Tönen gegenüber den Bewegungen von Gestalten (um hier nur vom mimischen Drama zureden).
Nun können aber auch die Bewegungen einer Gestalt das Allgemeinere sein: denn sie drücken innerliche Zustände aus, die viel reicher und nuancirter sind als ihr Bewegungsresultat am äussern Menschen: weshalb wir so oft eine Gebärde missverstehen. Überdies ist unendlich viel Conventionelles an allen Gebärden—der völlig freie Mensch ist ein Phantasma. Lässt man aber die Bewegtheit der Gestalt fahren, und redet vom bewegten Gefühl, so sollte nun die Musik das Allgemeinere, das bewegte Gefühl der und jener Person das Specielle sein. Die Musik aber ist eben das bewegte Gefühl des Musikers in Tönen ausgedrückt, also jedenfalls eines Individuums. Und so war es immer (wenn man von der reinen formalistischen Ton-Arabesken-Lehre absieht). So hätte man den vollen Widerspruch: ein ganz specieller Ausdruck des Gefühls als Musik, ganz bestimmt—und daneben das Drama, ein Nebeneinander von Ausdrücken ganz bestimmter Gefühle, der dramatischen Personen, durch Wort und Bewegung. Wie können diese sich je decken? Wohl kann der Musiker den Vorgang des Dramas selbst nachempfinden und als reine Musik wiedergeben (Coriolanouvertüre). Dieses Abbild hat aber dann zum Drama selbst allerdings den Sinn einer Verallgemeinerung, die politischen Motive, Gründe, alles ist weggelassen und nur der dumme Wille redet. In jedem andern Sinne ist dramatische Musik schlechte Musik.
Nun aber die verlangte Gleichzeitigkeit und der genaueste Parallelismus! des ganzen Vorgangs, im Musiker und im Drama. Da stört nun die Musik den Dramatiker, denn sie braucht, um etwas auszudrücken, Zeit, oft zu einer einzigen Regung des Drama’s eine ganze Symphonie. Was macht währenddem das Drama? Wagner benutzt dazu den Dialog, überhaupt die Sprache.
Da kommt nun eine neue Macht und Schwierigkeit hinzu: die Sprache. Diese redet in Begriffen. Auch diese haben ihre eignen Zeitgesetze: kurz
| Mimus allein drückt das zu Grunde liegende Gefühl [aus] Begriffswelt Musik. | ï ï ï | jedes [drückt es] in andern Zeitmaassen aus. |
Im Wortdrama regiert die Macht, die die meiste Zeit braucht, der Begriff. Deshalb ist die Action oft ein Ruhen, plastisch, Gruppen. Besonders in der Antike: die ruhende Plastik drückt einen Zustand aus. Der Mimus wird also bedeutend durch das Wortdrama bestimmt.
Nun braucht der Musiker ganz andre Zeiten und eigentlich sind ihm gar keine Gesetze vorzuschreiben: eine angeschlagene Empfindung kann bei dem Einen Musiker lang, bei dem andern kurz sein. Welche Forderung nun, dass hier die Begriffssprache und die Tonsprache neben einander hergehen!
Nun enthält aber die Sprache selbst ein musikalisches Element. Der stark empfundene Satz hat eine Melodie, die auch ein Bild der allgemeinsten Willensregung dabei ist. Diese Melodie ist künstlerisch verwendbar und ausdeutbar, in’s Unendliche.
Die Vereinigung aller dieser Factoren scheint unmöglich: der eine Musiker wird einzelne durch das Drama erregte Stimmungen wiedergeben und mit dem grössten Theil des Dramas sich nicht zu helfen wissen: daher dann wohl das Recitativ und die Rhetorik. Der Dichter wird dem Musiker nicht zu helfen vermögen und dadurch sich selbst nicht helfen können: er wünscht nur so viel zu dichten, was man singen kann. Davon hat er aber nur ein theoretisches Bewusstsein, kein innerliches. Der Schauspieler muss vor allem wieder als Sänger eine Menge thun, was nicht dramatisch ist, den Mund aufsperren usw.; er braucht conventionelle Manieren. Nun würde sich alles verändern, wenn der Schauspieler einmal zugleich Musiker und Dichter wäre.
Er benutzt Gebärde Sprache Sprachmelodie und dazu noch die anerkannten Symbole des Musikausdrucks. Er setzt eine sehr reich entwickelte Musik voraus, die schon für eine Unzahl Regungen einen festeren erkennbaren und wiederkehrenden Ausdruck gewonnen hat. Durch diese Musikcitate erinnert er den Zuhörer an eine bestimmte Stimmung, in der der Schauspieler sich gedacht wissen will. Jetzt ist wirklich die Musik ein “Mittel des Ausdrucks” geworden: steht deshalb künstlerisch auf einer niedern Stufe, denn sie ist nicht mehr organisch in sich. Nun wird der musikalische Meister immer noch die Symbole in der kunstvollsten Weise verflechten können: aber weil der eigentliche Zusammenhang und Plan jenseits und ausserhalb der Musik liegt, kann sie nicht organisch sein. Aber es würde unbillig sein, dies dem Dramatiker vorzuwerfen. Er darf zu Gunsten des Drama’s die Musik als Mittel gebrauchen, wie er die Malerei als Mittel gebraucht. Solche Musik, rein an sich, ist der gemalten Allegorie zu vergleichen: der eigentliche Sinn liegt nicht im Bilde, deshalb kann er sehr schön sein.