Herbst 1881 15 [1-72]
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Was wir lieben, soll an sich selber keine Flecken finden so will es der Egoismus dieser feinsten Besitzlust, welche Liebe heißt.
Gesetzt, man ist der Liebhaber einer Sängerin, mit was für ängstlichen Ohren hört man da sie vor irgend welchen Zuhörern singen! Man urtheilt fein und überfein, keineswegs voreingenommen, verliebt, verklebt: vielmehr entgeht uns keiner ihrer kleinsten Fehler, kein noch so flüchtiges Ausgleiten oder Ausbleiben; wir wissen, wenn auch die Zuhörer jubeln und klatschen, daß für die Sängerin selber nicht Alles so klang und lief, wie ihr feinstes Gewissen es verlangt hat—und weil wir fühlen, daß ihr selber all ihr kleines und großes Mißlingen bewußt ist, leiden wir unbeschreiblich dabei und sind dankbar und gerührt über alles, was ihr gelungen. So geht es auch mit Meistern einer Kunst, welchen wir Freund sind; um ihretwillen sind wir an ihrem Gelingen erquickt, ja wir geben allen eigenen Geschmack auf, sobald uns ihre Art, sich selber zu schmecken, erst zum Bewußtsein gekommen ist.