Herbst 1881 15 [1-72]
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Jüdisch ist im Ganzen die Moralität Europas—eine tiefe Fremdheit trennt uns immer noch von den Griechen. Aber die Juden haben ebenso sehr als sie den Menschen verachteten und als böse und verächtlich zugleich empfanden, ihren Gott reiner und ferner als irgend ein Volk gestaltet: sie nährten ihn mit all dem Guten und Hohen, was in der Brust des Menschen wächst—und diese seltsamste aller Aufopferungen hat allmählich eine Kluft zwischen Gott und Mensch entstehen lassen, die furchtbar empfunden wurde. Nur bei Juden war es möglich, ja nothwendig, daß sich endlich ein Wesen in diese Kluft hineinwarf—und wieder mußte es “der Gott” sein, der dies that, dem man allein etwas Hohes zutraute: jener Mensch selber, welcher sich als Mittler fühlte, mußte sich erst als Gott fühlen, um diese Mittler-Aufgabe sich zu stellen. Wo die Kluft weniger groß war, da konnte auch wohl ein Mensch ohne völlig übermenschlich zu sein, sondern als Heros dazwischen treten und das Wohlgefühl verbreiten, welches vielleicht das höchste der älteren Menschheit war: Einklang und Übergang von Gott zu Mensch zu sehen.