Herbst 1883 16 [1-90]
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Meine Differenzen mit Rée: Grundgegensatz Gebundenheit an ein Herkommen und Lösung davon—nicht “Egoistisch” und “Unegoistisch”
Es fehlt ihm der historische Blick für die außerordentliche Verschiedenheit in den Werthtafeln des Guten.
M A p. 79.
Andere Ableitung des Gerechtigkeitsgefühls und der Eitelkeit.
Ich bekämpfe den Gedanken, daß der Egoismus schädlich und verwerflich ist: ich will dem Egoism das gute Gewissen schaffen.
Ich behaupte, daß der Heerden-Instinkt das ursprünglich Stärkere und Mächtigere ist: daß das Individuell-Handeln (das Nicht-nach-dem-Herkommen-handeln) als böse empfunden worden ist.
sie sagen: nur als Gewohnheit etwas verwerflich finden
Rée meint, der Nutzen sei etwas Geringeres: seine ganze Betrachtungsart steht unter dem moralischen Vorurtheil.
p. 47 “wenn bei den Strafen nichts daran erinnert, daß sie ein Abschreckungsmittel sind, so muß der Schein entstehn, als ob sie eine Vergeltung sind.” Warum? Was ist denn Vergeltung? Er meint, das Gerechtigkeitsgefühl entstehe, weil etwas Vergeltung scheint. Aber der Begriff Vergeltung ist nicht untersucht. Auch, daß alle Strafe aus der Rache entsteht, übersehen.
“Handlungen, die nothwendig sind, können nicht vergolten werden” p. 49 Gewiß können sie das! Er meint, sie sollten es nicht, es wäre unbillig! d. h. er steht selber unter den moralischen Voraussetzungen.
Gerechtigkeits-Gefühl d. h. verlangen, daß ein vergeltendes Leid geschehe.— Nach Rée die Folge von 2 Irrthümern: 1) daß die Strafe Vergeltung scheint 2) daß man den Willen für frei hält.
Er meint, man würde nicht vergelten, wenn man den Nächsten für unfrei hielte. Nun denke man, was hier vergelten ist: zunächst hindern, hemmen, daß das Schädigen fortgeht. Man vergilt einem fallenden Steine nicht.— Er hat Recht.
Fehlerhaft ist bei Rée, das Gerechtigkeitsgefühl aus dem Strafen und nach dem Strafen entstehn zu lassen: während die Strafen aus ihm entstanden sind.
Unserem Schädiger muß vergolten werden, weil er das Bewußtsein unserer Macht gemindert hat: es ist ein Verbrechen an unserer Selbst-Schätzung.
Es genügt durchaus nicht: einen moralisch guten Zweck haben nur die das Wohl Anderer ihrer selber wegen wollen, sondern was für ein Wohl.
Ihn interessirt nur die Entstehung der Urtheile “gut” und “böse”—aber die bestimmte Beschaffenheit dieser Handlungen, ihre wirkliche Nützlichkeit (im Verhältniß zu der vermeinten) interessirt mich.
Moral zuerst Selbstverherrlichung des Mächtigen und der herrschenden Kaste.
Lust-Unlust sind Begleit-Erscheinungen, keine Zwecke.