Winter 1883-84 24 [1-37]
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Die Wissenschaft fragt nicht, was uns zu diesem Wollen trieb: sie leugnet vielmehr, daß gewollt worden ist, und meint, daß etwas ganz Anderes geschehen sei—kurz daß der Glaube an Wille und Zwecke eine Illusion sei. Sie fragt nicht nach den Motiven der Handlung, als ob diese uns vor der Handlung im Bewußtsein gewesen wären: sondern sie zerlegt erst die Handlung in eine mechanische Gruppe von Erscheinungen und sucht die Vorgeschichte dieser mechanischen Bewegung—aber nicht im Fühlen Empfinden Denken. Daher kann sie nie die Erklärung nehmen: die Empfindung ist ja eben ihr Material, das erklärt werden soll.— Ihr Problem ist eben: die Welt zu erklären ohne zu Empfindungen als Ursachen zu greifen: denn das hieße ja: als Ursachen der Empfindungen die Empfindungen ansehen. Ihre Aufgabe ist schlechterdings nicht gelöst.
Also: entweder kein Wille—die Hypothese der Wissenschaft—oder freier Wille. Letztere Annahme das herrschende Gefühl, von dem wir uns nicht losmachen können, auch wenn die Hypothese bewiesen wäre.
Der populäre Glaube an Ursache und Wirkung ist auf die Voraussetzung gebaut, daß der freie Wille Ursache ist von jeder Wirkung: erst hierher haben wir das Gefühl der Causalität. Also darin liegt auch das Gefühl, daß jede Ursache nicht Wirkung ist, sondern immer erst Ursache—wenn der Wille die Ursache ist. “Unsere Willensakte sind nicht nothwendig”—das liegt im Begriff “Wille.” Nothwendig ist die Wirkung nach der Ursache—so fühlen wir.— Es ist eine Hypothese, daß auch unser Wollen in jedem Falle ein Müssen sei. Aber Wollen: = Zweck-Wollen. Zweck enthält eine Werthschätzung. Woher stammen die Werthschätzungen? Ist eine feste Norm von “angenehm und schmerzhaft” die Grundlage?
Aber in unzähligen Fällen machen wir erst eine Sache schmerzhaft dadurch daß wir unsere Werthschätzung hineinlegen.
Umfang der moralischen Werthschätzungen: sie sind fast in jedem Sinneseindruck mitspielend. Die Welt ist uns gefärbt dadurch.
Wir haben die Zwecke und die Werthe hineingelegt: wir haben eine ungeheure latente Kraftmasse dadurch in uns: aber in der Vergleichung der Werthe ergiebt sich, daß Entgegengesetztes [als] werthvoll galt, daß viele Gütertafeln existirten.
also nichts “an sich” werthvoll
bei der Analyse der einzelnen Gütertafeln ergab sich ihre Aufstellung als die Aufstellung von Existenzbedingungen beschränkter Gruppen (und oft irrthümlichen): zur Erhaltung.
bei der Betrachtung der jetzigen Menschen ergab sich, daß wir sehr verschiedene Werthurtheile handhaben, und daß keine schöpferische Kraft mehr darin ist—die Grundlage: “die Bedingung der Existenz” fehlt dem moralischen Urtheile jetzt. Es ist viel überflüssiger, es ist lange nicht so schmerzhaft.— Es wird willkürlich. Chaos.
Wer schafft das Ziel, das über der Menschheit stehen bleibt und auch über dem Einzelnen? Ehemals wollte man mit der Moral erhalten. Aber Niemand will jetzt mehr erhalten, es ist nichts dran zu erhalten. Also eine versuchende Moral, sich ein Ziel geben.
Art-Erhaltende