Winter 1883-84 24 [1-37]
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Psychologie des Irrthums
Wenn wir etwas thun, so entsteht ein Kraftgefühl, oft schon vor dem Thun, bei der Vorstellung des zu Thuenden (wie beim Anblick eines Feindes, eines Hemmnisses, dem wir uns gewachsen glauben): immer begleitend. Wir meinen instinktiv, dies Kraftgefühl sei Ursache der Handlung, es sei “die Kraft.” Unser Glaube an Kausalität ist der Glaube an Kraft und deren Wirkung; eine Übertragung unsres Erlebnisses; wobei wir Kraft und Kraftgefühl identificiren.— Nirgends aber bewegt die Kraft die Dinge, die empfundene Kraft “setzt nicht die Muskeln in Bewegung.” “Wir haben von einem solchen Prozeß keine Vorstellung, keine Erfahrung.”— “Wir erfahren ebensowenig, wie die Kraft als Bewegendes, die Nothwendigkeit einer Bewegung.” Die Kraft soll das Zwingende sein! “Wir erfahren nur, daß eins auf das andere folgt—weder Zwang erfahren wir, noch Willkür, daß eins auf das andere folgt.” Die Kausalität wird erst durch die Hineindenkung des Zwangs in den Folgevorgang geschaffen. Ein gewisses “Begreifen” entsteht dadurch d. h. wir haben uns den Vorgang angemenschlicht, “bekannter” gemacht: das Bekannte ist das Gewohnheitsbekannte des mit Kraftgefühl verbundenen menschlichen Erzwingens. [Vgl. Richard Heinrich Ludwig Avenarius, Philosophie als Denken der Welt gemäss dem Princip des kleinsten Kraftmasses. Prolegomena zu einer Kritik der reinen Erfahrung. Habilitationsschrift der philosophischen Facultät der Universität zu Leipzig vorgelegt und als Einladung zu der am 10. Januar 1876 Nachmittag 3 Uhr im Bornerianum Nr. VI zu haltenden Probevorlesung über die Substanz Spinoza's ausgegeben von Dr. Richard Avenarius. Leipzig: Fues's Verlag (R. Reisland), 1876:45-46.]