Frühjahr 1884 25 [301-400]
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1 Grundsatz. Alle bisherigen Werthschätzungen sind aus falschem vermeintlichem Wissen um die Dinge entsprungen:—sie verpflichten nicht mehr, und selbst wenn sie als Gefühl, instinktiv (als Gewissen) arbeiten.
2 Grundsatz. Anstatt des Glaubens, der uns nicht mehr möglich ist, stellen wir einen starken Willen über uns, der eine vorläufige Reihe von Grundschätzungen festhält, als heuristisches Princip: um zu sehn, wie weit man damit kommt. Gleich dem Schiffer auf unbekanntem Meere. In Wahrheit war auch all jener “Glauben” nichts Anderes: nur war ehemals die Zucht des Geistes zu gering, um unsere großartige Vorsicht aushalten zu können.
3 Grundsatz. Die Tapferkeit von Kopf und Herz ist, was uns europäische Menschen auszeichnet: erworben im Ringen von vielen Meinungen. Größte Geschmeidigkeit, im Kampfe mit spitzfindig gewordenen Religionen, und eine herbe Strenge, ja Grausamkeit. Vivisection ist eine Probe: wer sie nicht aushält, gehört nicht zu uns (und gewöhnlich giebt es auch sonst Zeichen, daß er nicht zu uns gehört z. B. Zöllner.)
4 Grundsatz. Die Mathematik enthält Beschreibungen (Definitionen) und Folgerungen aus Definitionen. Ihre Gegenstände existiren nicht. Die Wahrheit ihrer Folgerungen beruht auf der Richtigkeit des logischen Denkens.— Wenn die Mathematik angewendet wird, so geschieht dasselbe, wie bei den “Mittel- und Zweck”-Erklärungen: es wird das Wirkliche erst zurechtgemacht und vereinfacht (gefälscht — —)
5 Grundsatz. Das am meisten von uns Geglaubte, alles a priori ist darum nicht gewisser, daß es so stark geglaubt wird. Sondern es ergiebt sich vielleicht als eine Existenz-Bedingung unserer Gattung—irgend eine Grund-Annahme. Deshalb könnten andere Wesen andere Grundannahmen machen z. B. 4 Dimensionen. Deshalb könnten immer noch all diese Annahmen falsch sein—oder vielmehr: in wie fern könnte irgend Etwas “an sich wahr” sein! Dies ist der Grund-Unsinn!
6 Grundsatz. Es gehört zur erlangten Männlichkeit, daß wir uns nicht über unsere menschliche Stellung betrügen: wir wollen vielmehr unser Maaß streng durchführen und das größte Maaß von Macht über die Dinge anstreben. Einsehen, daß die Gefahr ungeheuer ist: das der Zufall bisher geherrscht hat —
7 Grundsatz. Die Aufgabe der Erdregierung kommt. Und damit die Frage: wie wir die Zukunft der Menschheit wollen!— Neue Werthtafeln nöthig. Und Kampf gegen die Vertreter der alten “ewigen” Werthe als höchste Angelegenheit!
8 Grundsatz. Aber woher nehmen wir unseren Imperativ? Es ist kein “du sollst,” sondern das “ich muß” des Übermächtigen, Schaffenden.