Frühjahr 1884 25 [301-400]
25 [348]
Die Wurzel alles Üblen: daß sklavische Moral gesiegt hat, der Sieg der Demuth, Keuschheit, absoluten Gehorsams, Selbstlosigkeit—
—die herrschenden Naturen wurden dadurch 1) zur Heuchelei 2) zur Gewissensqual verurtheilt—die schaffenden Naturen fühlten sich als Aufrührer gegen Gott, unsicher, und gehemmt durch die ewigen Werthe
— die Barbaren zeigten, daß Maaßhalten-können bei ihnen nicht zu Hause war: sie fürchteten und verlästerten die Leidenschaften und Triebe der Natur:—ebenso der Anblick der herrschenden Cäsaren und Stände.
— es entstand anderseits der Verdacht, daß alle Mäßigung eine Schwäche sei oder Alt- und Müdewerden (so hat La Rochefoucauld den Verdacht, daß “Tugend” ein schönes Wort sei bei solchen, welchen das Laster keine Lust mehr mache)
— das Maaßhalten selber war als Sache der Härte, Selbstbezwingung, Askese geschildert, als Kampf mit dem Teufel usw. das natürliche Wohlgefallen der aesthetischen Natur am Maaße der Genuß am Schönen des Maaßes war übersehen oder verleugnet, weil man eine anti-eudämonistische Moral wollte
In summa: die besten Dinge sind verlästert worden (weil die Schwachen oder die unmäßigen Schweine ein schlechtes Licht darauf warfen)—und die besten Menschen sind verborgen geblieben und haben sich oft selber verkannt.