Juni-Juli 1885 36 [1-60]
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Es ist zu allen Zeiten besser an den Leib als an unser gewissestes Sein, kurz als ego geglaubt worden als an den Geist (oder die “Seele” oder “das Subjekt,” wie die Schulsprache jetzt statt Seele sagt). Niemand kam je auf den Einfall, seinen Magen als einen fremden etwa einen göttlichen Magen zu verstehen: aber seine Gedanken als “eingegeben,” seine Werthschätzungen als “von einem Gott eingeblasen,” seine Instinkte als Thätigkeit von Dämonen zu fassen: für diesen Hang und Geschmack des Menschen giebt es aus allen Altern der Menschheit Zeugnisse. Noch jetzt ist, namentlich unter Künstlern, eine Art Verwunderung und ehrerbietiges Aushängen der Entscheidung reichlich vorzufinden, wenn sich ihnen die Frage vorlegt, wodurch ihnen der beste Wurf gelungen und aus welcher Welt ihnen der schöpferische Gedanke gekommen ist: sie haben, wenn sie dergestalt fragen, etwas wie Unschuld und kindliche Scham dabei, sie wagen es kaum zu sagen “das kam von mir, das war meine Hand, die die Würfel warf.”— Umgekehrt haben selbst jene Philosophen und Religiösen, welche den zwingendsten Grund in ihrer Logik und Frömmigkeit hatten, ihr Leibliches als Täuschung, und zwar als überwundene und abgethane Täuschung zu nehmen, nicht umhin gekonnt, die dumme Thatsächichkeit anzuerkennen, daß der Leib nicht davon gegangen ist: worüber das seltsamste Zeugniß theils bei Paulus, theils in der Vedanta-Philosophie zu finden sind.
Aber was bedeutet zuletzt Stärke des Glaubens! Deshalb könnte es immer noch ein sehr dummer Glaube sein!— Hier ist nachzudenken: —
Und zuletzt, wenn der Glaube an den Leib nur die Folge eines Schlusses ist: gesetzt, es wäre ein falscher Schluß, wie die Idealisten behaupten: ist es nicht ein Fragezeichen an der Glaubwürdigkeit des Geistes selber, daß er dergestalt die Ursache falscher Schlüsse ist? Gesetzt, die Vielheit, und Raum und Zeit und Bewegung (und was alles die Voraussetzungen eines Glaubens an Leiblichkeit sein mögen) wären Irrthümer, welches Mißtrauen wird gegen den Geist das erregen, was uns zu solchen Voraussetzungen veranlaßt hat! Genug, der Glaube an den Leib ist einstweilen immer noch ein stärkerer Glaube als der Glaube an den Geist; und wer ihn untergraben will, untergräbt eben damit am gründlichsten auch den Glauben an die Autorität des Geistes!