Juli-August 1882 1 [1-112]
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“Ja, ein schwaches Geschlecht!”—so reden die Männer von den Frauen, so reden auch die Frauen von sich selber: aber wer glaubt, daß sie bei dem gleichen Worte das Gleiche denken? Doch lassen wir einmal die Männer hierüber denken, was sie wollen; was meint für gewöhnlich ein Weib, wenn es von der Schwäche seines Geschlechts spricht? —
Schwäche fühlen—das ist ihm nicht nur einen Mangel an Kraft fühlen, sondern vielmehr: ein Bedürfniß nach Kraft fühlen. Es sucht nach Kraft, es blickt nach außen dabei, es will sich anlehnen es ist ganz Fühlhorn für Alles, woran es sich anlehnen könnte, es schlingt sich verlangend auch um das, was zur Stütze ungeeignet ist und versucht sich daran zu halten, ja es täuscht sich gerne über die Kraft alles Anderen, Fremden außer ihm—es glaubt in dem Grade an die Kraft außer sich als es an die Schwäche in sich glaubt. Das Gefühl der Schwäche, im äußersten Maaße empfunden, findet geradezu überall Stärke und dichtet Kraft in jedes Außer-sich hinein, mit dem es sich berührt: und wenn das Auge widersprechen sollte, so wird das Auge—zugemacht!
Dies ist in der That der Zustand, in dem das schwache Geschlecht sich befindet, und nicht nur in Beziehung auf die Männer seiner Umgebung, sondern auch in Beziehung auf Religion und Sitte: das schwache Weib glaubt an seine Unmöglichkeit, ungestützt stehen zu können und verwandelt alles, was es leiblich oder geistig umgiebt, in Stützen—es will nicht sehen, was dies Alles wirklich ist, es will nicht prüfen, ob das Geländer, an dem es über den Fluß geht, wirklich hält, es glaubt an das Geländer, weil es an seine Schwäche und Angst glaubt. Woran ein solches Weib sich anlehnt, das ist unter allen Umständen nicht die erkannte Kraft, sondern die erwartete, gewünschte und erdichtete Kraft: und je größer sein Gefühl der Schwäche war, um so mehr Kraft wird es an dem fühlen wollen, das ihm “Halt giebt.” Das schwächste Weib wird aus jedem Manne einen Gott machen: und ebenso aus jedem Gebot der Sitte und Religion etwas Heiliges, Unantastbares, Letztes, Anbetungswürdiges. Es liegt auf der Hand, daß für die Entstehung der Religionen das schwache Geschlecht wichtiger ist als das starke. Und, so wie die Weiber sind, würden sie sich, wenn man sie allein ließe, aus ihrer Schwäche heraus nicht nur beständig “Männer” erschaffen, sondern auch “Götter”—und beide, wie zu vermuthen steht, einander ähnlich—: als Ungeheuer von Kraft!