Juli-August 1882 1 [1-112]
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Stil
Das Erste, was noth thut, ist Leben: der Stil soll leben.
Der Stil soll jedes Mal dir angemessen sein in Hinsicht auf eine ganz bestimmte Person, der du dich mittheilen willst.
Man muß erst genau wissen: “so und so würde ich dies sprechen und vortragen”—bevor man schreiben darf. Schreiben soll nur eine Nachahmung sein.
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Weil dem Schreibenden viele Mittel des Vortragenden fehlen, so muß er im Allgemeinen eine sehr ausdrucksreiche Art von Vortrag zum Vorbilde haben: das Abbild davon, das Geschriebene wird nothwendig schon viel blässer (und dir natürlicher) ausfallen.
Der Reichthum an Leben verräth sich durch Reichthum an Gebärden. Man muß Alles, Länge Kürze der Sätze, die Interpunktionen, die Wahl der Worte, die Pausen, die Reihenfolge der Argumente—als Gebärden empfinden lernen.
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Vorsicht gegen die Periode! Zur Periode haben nur die Menschen ein Recht, die einen langen Athem auch im Sprechen haben. Für die Meisten ist die Periode eine Affektation.
Der Stil soll beweisen, daß man an seine Gedanken glaubt, und sie nicht nur denkt, sondern empfindet.
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Je abstrakter die Wahrheit ist, die man lehren will, um so mehr muß man erst die Sinne zu ihr verführen.
Der Takt des guten Prosaikers besteht darin, dicht an die Poesie heranzutreten, aber niemals zu ihr überzutreten. Ohne das feinste Gefühl und Vermögen im Poetischen selber kann man diesen Takt nicht haben.
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Es ist nicht artig und klug, seinem Leser die leichteren Einwände vorwegzunehmen. Es ist sehr artig und klug, seinem Leser es übrig zu lassen, die Quintessenz unserer Weisheit selber auszusprechen.