Juni-Juli 1885 37 [1-18]
37 [11]
Der Socialismus—als die zu Ende gedachte Tyrannei der Geringsten und Dümmsten, der Oberflächlichen, der Neidischen und der Dreiviertels-Schauspieler—ist in der That die Schlußfolgerung der modernen Ideen und ihres latenten Anarchismus: aber in der lauen Luft eines demokratischen Wohlbefindens erschlafft das Vermögen, zu Schlüssen oder gar zum Schluß zu kommen. Man folgt,—aber man folgert nicht mehr. Deßhalb ist der Socialismus im Ganzen eine hoffnungslose, säuerliche Sache; und Nichts ist lustiger anzusehen als der Widerspruch zwischen den giftigen und verzweifelten Gesichtern welche heute die Socialisten machen,—und von was für erbärmlichen gequetschten Gefühlen legt gar ihr Stil Zeugniß ab!—und dem harmlosen Lämmer-Glück ihrer Hoffnungen und Wünschbarkeiten. Dabei kann es doch an vielen Orten Europas ihrerseits zu gelegentlichen Handstreichen und Überfällen kommen: dem nächsten Jahrhundert wird es hie und da gründlich im Leibe “rumoren,” und die Pariser Commune, welche auch in Deutschland ihre Schutzredner und Fürsprecher hat (z. B. an dem philosophischen Grimassen-Schneider und Sumpfmolch E D in Berlin), war vielleicht nur eine leichtere Unverdaulichkeitm, gemessen an dem, was kommt. Trotzdem wird es immer zuviel Besitzende geben, als daß der Socialismus mehr bedeuten könnte als einen Krankheits-Anfall: und diese Besitzenden sind wie Ein Mann Eines Glaubens “man muß etwas besitzen, um etwas zu sein.” Dieß aber ist der älteste und gesündeste aller Instinkte: ich würde hinzufügen “man muß mehr haben wollen als man hat, um mehr zu werden.” So nämlich klingt die Lehre, welche allem, was lebt, durch das Leben selber gepredigt wird: die Moral der Entwicklung. Haben und mehr haben wollen, Wachsthum mit einem Wort—das ist das Leben selber. In der Lehre des Socialismus versteckt sich schlecht ein “Wille zur Verneinung des Lebens”; es müssen mißrathene Menschen oder Raçen sein welche eine solche Lehre ausdenken. In der That, ich wünschte, es würde durch einige große Versuche bewiesen daß in einer socialistischen Gesellschaft das Leben sich selber verneint, sich selber die Wurzeln abschneidet. Die Erde ist groß genug, und der Mensch immer noch unausgeschöpft genug, als daß mir eine derartige praktische Belehrung und demonstratio ad absurdum, selbst wenn sie mit einem ungeheuren Aufwande von Menschenleben gewonnen und bezahlt würde, nicht wünschenswerth erscheinen müßte. Immerhin, schon als unruhiger Maulwurf unter dem Boden einer in die Dummheit rollenden Gesellschaft wird der Socialismus etwas Nützliches und Heilsames sein können: er verzögert den “Frieden auf Erden” und die gänzliche Vergutmüthigung des demokratischen Heerdenthieres, er zwingt die Europäer, Geist, nämlich List und Vorsicht übrig zu behalten, den männlichen und kriegerischen Tugenden nicht gänzlich abzuschwören und einen Rest von Geist, von Klarheit, Trockenheit und Kälte des Geistes übrig zu behalten,—er schützt Europa einstweilen vor dem ihm drohenden marasmus femininus.