Juni-Juli 1885 37 [1-18]
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Die Historiker wollen heute zu viel und sündigen allesammt wider den guten Geschmack, sie drängen sich ein in die Seelen von Menschen, zu deren Rang und in deren Gesellschaft sie nicht gehören. Was hat z. B. so ein aufgeregter schwitzender Plebejer wie Michelet mit Napoleon zu schaffen! Es ist gleichgültig, ob er ihn haßt oder liebt, aber weil er schwitzt, gehört er nicht in seine Nähe. Was jener mittelmäßige, im schlechten Sinne elegante Thiers mit demselben Napoleon! er macht lachen, der kleine Mann, wenn er den großen Mann gegen Cäsar, Hannibal und Friedrich mit der Miene eines weisen Richters abschätzt. Ich schätze es höher, wenn einer auch als Historiker zu erkennen giebt, wo für seinen Fuß der Boden zu heiß oder zu heilig ist; ein Historiker aber, der zur rechten Zeit “die Schuhe auszieht” oder die Schuhe anzieht und davongeht, ist heutzutage, im Zeitalter der unschuldigen Unverschämtheit, ein seltener Vogel. Die deutschen Gelehrten, bei denen der “historische Sinn” erfunden worden ist,—jetzt üben sich die Franzosen auf ihn ein—verrathen sammt und sonders, daß sie aus keiner herrschenden Kaste stammen: sie sind, als Erkennende, zudringlich und ermangeln der feineren Scham.