Juni-Juli 1885 37 [1-18]
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In der Hauptsache gebe ich den Künstlern mehr Recht als allen Philosophen bisher: sie verloren die große Spur nicht, auf der das Leben geht, sie liebten die Dinge “dieser Welt,”—sie liebten ihre Sinne. Entsinnlichung zu erstreben: das scheint mir ein Mißverständniß oder eine Krankheit oder eine Kur, wo sie nicht eine bloße Heuchelei oder Selbstbetrügerei ist. Ich wünsche mir selber und allen denen, welche ohne die Ängste eines Puritaner-Gewissens leben—leben dürfen—, eine immer größere Vergeistigung und Vervielfältigung der Sinne; ja wir wollen den Sinnen dankbar sein für ihre Feinheit, Fülle und Kraft und ihnen das Beste von Geist, was wir haben, dagegen bieten. Was gehen uns die priesterlichen und metaphysischen Verketzerungen der Sinne an! Wir haben diese Verketzerung nicht mehr nöthig: es ist ein Merkmal der Wohlgerathenheit, wenn Einer gleich Goethen mit immer größerer Lust und Herzlichkeit an “den Dingen der Welt” hängt:—dergestalt nämlich hält er die große Auffassung des Menschen fest, daß der Mensch der Verklärer des Daseins wird, wenn er sich selbst verklären lernt.— Aber was redest du? wirft man mir ein. Giebt es nicht unter Künstlern gerade heute die ärgsten Pessimisten? Was denkst du zum Beispiel von Richard Wagner? Ist das kein Pessimist?— Ich kraue mir die Ohren: