November 1887 - März 1888 11 [101-200]
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Man spricht von der “tiefen Ungerechtigkeit” des socialen Pakts: wie als ob die Thatsache, daß dieser unter günstigen, jener unter ungünstigen Verhältnissen geboren wird, eine Ungerechtigkeit sei; oder gar, daß dieser mit diesen Eigenschaften, jener mit jenen geboren wird ... Dies ist unbedingt zu bekämpfen. Der falsche Begriff “Individuum” führt zu diesem Unsinn. Die Umstände, aus denen ein Mensch wächst, von ihm zu isoliren und ihn, wie eine “seelische Monade,” gleichsam bloß hineinsetzen oder fallen lassen: ist eine Folge der elenden Seelen-Metaphysik. Niemand hat ihm Eigenschaften gegeben, weder Gott, noch seine Eltern; niemand ist verantwortlich, daß er ist, daß er so und so ist, daß er unter diesen Umständen ist ... Der Faden des Lebens, den er jetzt darstellt, ist nicht herauszulösen aus allem, was war und sein muß: da er nicht das Resultat einer langen Absicht ist, überhaupt keines Willens zu einem “Ideal von Mensch” oder “ldeal von Glück” oder “Ideal von Moralität,” so ist es absurd, irgendwohin sich “abwälzen” wollen: wie als ob irgendwo eine Verantwortung läge.
| Die Revolte des “Leidenden” gegen |
| Gott Gesellschaft Natur Vorfahren Erziehung usw. |
imaginirt Verantwortlichkeiten und Willensformen, die es gar nicht giebt. Man soll nicht von einem Unrecht reden in Fällen, wo gar keine Vorbedingungen für Recht und Unrecht da sind. Daß eine Seele jeder Seele an sich gleich sei—oder gleich sein sollte: das ist die schlimmste Art optimistischer Schwärmerei. Das Umgekehrte ist das Wünschbare, die möglichste Unähnlichkeit und folglich Reibung, Kampf, Widerspruch: und, das Wünschbare ist das Wirkliche, glücklicher Weise!