Ende 1870 - April 1871 7 [1-204]
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Die künstlerische Lust muß auch ohne Menschen vorhanden sein. Die bunte Blüthe, der Pfauenschweif verhält sich zu seinem Ursprung, wie die Harmonie zu jenem indifferenten Punkt, d. h. wie das Kunstwerk zu seinem negativen Ursprung. Das was dort schafft, künstlerisch schafft, wirkt im Künstler. Was ist nun das Kunstwerk? Was ist die Harmonie? Jedenfalls eben so real wie die bunte Blume.
Wenn aber die Blume, der Mensch, der Pfauenschweif negativen Ursprungs sind, so sind sie wirklich wie die “Harmonien” eines Gottes, d. h. ihre Realität ist eine Traumrealität. Wir brauchen dann ein die Welt als Kunstwerk, als Harmonie produzirendes Wesen, der Wille erzeugt dann gleichsam aus der Leere, der Ag<\", die Kunst A`D@l. [Vgl. Plato, Symp. 203b-c.] Alles Vorhandene ist dann sein Abbild, auch in der künstlerischen Kraft. Der Krystall, die Zellen usw.
Richtung der Kunst, die Dissonanz zu überwinden: so strebt die aus dem Indifferenzpunkte entstandene Welt des Schönen, die Dissonanz als das an sich Störende mit in das Kunstwerk hinüberzuziehn. Daher der allmähliche Genuß an der Molltonart und der Dissonanz. Das Mittel ist die Wahnvorstellung, überhaupt die Vorstellung, mit der Grundlage, daß ein schmerzfreies Anschauen der Dinge hervorgebracht wird.
Der Wille als höchster Schmerz erzeugt aus sich eine Verzückung, die identisch ist mit dem reinen Anschauen und dem Produziren des Kunstwerks. Der physiologische Prozeß ist welcher? Eine Schmerzlosigkeit muß irgenwo erzeugt werden—aber wie?
Es erzeugt sich hier die Vorstellung, als Mittel für jene höchste Verzückung.
Die Welt ist nun beides zugleich, als Kern der eine schreckliche Wille, als Vorstellung die ausgegossene Welt der Vorstellung, der Verzückung.
Die Musik beweist, wie jene ganze Welt in ihrer Vielheit nicht mehr als Dissonanz empfunden wird.
Das Leidende, Kämpfende, sich Zerreißende ist immer nur der eine Wille: er ist der vollkommene Widerspruch als Urgrund des Daseins.
Die Individuation ist also Resultat des Leidens, nicht Ursache.
Das Kunstwerk und der Einzelne ist eine Wiederholung des Urprozesses, aus dem die Welt entstanden ist, gleichsam ein Wellenring in der Welle.