Sommer bis Ende Sept. 1875 12 [1-33]
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In doppelter Weise erscheint die Vergangenheit verkürzt, einmal weil sie nur von Einem Sehwinkel, allerdings einem wichtigen und nothwendigen aus gesehn wird und sodann weil in der einmal so geschauten Welt vieles ausgeschieden wird, nach einem Maßstabe. Aber nicht nur die Vergangenheit wird so gleichsam durch Verkürzung überschaulicher gemacht: das ganze Leben, auch das der Gegenwart und Zukunft, erscheint in einem verkleinerten Maßstabe und kann so leichter beurtheilt werden. Der Grad, in dem die Menschen mit der Kunst umgehen, die Tiefe oder Oberflächlichkeit der Beziehungen, die Wahrheit oder Eitelkeit in diesem Verkehr, wird zum Urtheil über die Zeiten und Völker benutzt: ihr Bedürfniß nach Kunst als Zeichen ihrer Sittlichkeit und Weisheit. Man kann von einem Menschen ziemlich viel wissen, wenn man genau weiß, ob er überhaupt Kunst nöthig hat, ob bildende oder tönende, welchen Meistern er sich zuneigt usw. Nimmt der Künstler selber diese Abschätzung vor, so kann man ihm nicht verargen, wenn er hier einen Werthmesser überhaupt zu haben glaubt: in seiner Betrachtung des Lebens ist die Kunst das Sonnensystem. Menschen ohne Kunst sind für ihn undenkbar, wie Menschen ohne Raum und Zeitvorstellungen es sind. Er findet nichts, worin nicht Kunst sich ausspräche: in der Art, wie ein Mench denkt, träumt, geht, ißt, sich unterredet, schreibt, liest, kämpft, verehrt, erzieht, den Tag und das Leben eintheilt, wie er den Staat aufbaut, die Stände auseinanderhält: überall ist hier eine äußerliche Erscheinung und eine Gesinnung, aus der gehandelt wird, zu unterscheiden. In dieser äußerlichen Erscheinung, sowohl wie in dieser Gesinnung, ist etwas, was Kunst ist: ein gewisser schöpferischer Drang nach dem — — —