Sommer bis Ende Sept. 1875 12 [1-33]
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Zum Darwinismus.
Je mehr ein Mensch Gemeinsinn hatte, sympathische Affektionen, um so mehr hielt er zu seinem Stamme; und der Stamm erhielt sich am besten, wo die hingebendsten Einzelnen waren. Hier erstarkte die gute tüchtige Sitte, hier wurde die Unterordnung des Individuums gelernt und dem Charakter Festigkeit gegeben und anerzogen.— Doch ist hier die Gefahr der Stabilität, die Verdummung, groß.
Ungebundene, viel unsicherere und schwächere Individuen, die neues versuchen und vielerlei versuchen, sind es, an denen der Fortschritt hängt: unzählige dieser Art gehen zu Grunde ohne Wirkung, aber im Allgemeinen lockern sie auf und bringen so von Zeit zu Zeit dem stabilen Elemente eine Schwächung bei, führen an irgend einer schwachgewordenen Stelle etwas Neues ein. Dies Neue wird von dem im Ganzen intakten Gesamtwesen allmählich assimilirt.
Die degenerirenden Naturen, die leichten Entartungen sind von höchster Bedeutung. Überall wo ein Fortschritt erfolgen soll, muß eine Schwächung vorhergehen.
Die stärksten Naturen haben den Typus fest und halten daran. —
Entartung ist immer Verstümmelung: aber selten ist eine Einbuße ohne einen Vortheil auf einer anderen Seite. Der kränkere Mensch z. B. wird ruhiger und weiser; der einäugige wird Ein stärkeres Auge haben, der Blinde wird tiefer in’s Innere schauen.
Nicht Kampf um’s Dasein ist das wichtige Princip! Mehrung der stabilen Kraft durch Gemeingefühl im Einzelnen, Möglichkeit zu höheren Zielen zu gelangen, durch entartetende Naturen und partielle Schwächungen der stabilen Kraft. Die schwächere Natur, als die edlere wenigstens freiere, macht alles Fortschreiten möglich.
Ein Volk, das irgendwo schwach wird und anbröckelt, aber im Ganzen noch stark ist: das vermag die Infektion des Neuen aufzunehmen und zu assimiliren.
Ebenso der einzelne Mensch: das Problem der Erziehung ist, jemanden so fest und markig hinzustellen, daß er als Ganzes gar nicht mehr aus seiner Bahn gebracht werden kann. Dann aber hat der Erzieher ihm Wunden beizubringen: und wenn so der Schmerz, das Bedürfniß entstanden ist, kann auch dort etwas Neues und Edles inokulirt werden. Die Gesammtkraft wird es jetzt in sich hinein nehmen und so veredelt werden.
Die Deutschen wurden nicht nur verwundet, sondern fast zum Verbluten gebracht, man nahm [ihnen] Sitte Religion Sprache Freiheit. Sie sind nicht zu Grunde gegangen: aber daß sie eine tief leidende Nation sind, haben sie bewiesen, dadurch daß sie die Musik erfanden; sie haben den Segen der Krankheit erfahren. —
Dieser Lehre gegenüber ist der Darwinismus eine Philosophie für Fleischerburschen. Und die Stellung, die sie der Züchtung, die sie dem Weibe geben! Ist es denn wahr, daß die Weiber gerade nur für die stärksten Fleischerburschen Sinn und Neigung haben! Nicht einmal unter den Thieren ist es so.
Übrigens will ich mit meiner Betrachtung bei den Menschen verbleiben und mich hüten, aus den Gesetzen über die menschliche Veredlung auf Grund der schwächeren, entarteten Naturen, Schlüsse über die thierische Entwicklung zu machen. Ob es gleich noch viel mehr erlaubt wäre, dies zu thun als aus der Bestialität und ihren Gesetzen nun auch den Menschen bestialisch zu systematisiren: wie dies Herr Häckel in Jena thut, und seines Gleichen wie D. Strauß. —