Herbst 1881 11 [101-200]
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“Wissenschaft” angeblich auf der Liebe zur Wahrheit um ihrer selber willen! Angeblich beim reinen Schweigen des “Willens”! In Wahrheit sind alle unsere Triebe thätig, aber in einer besonderen gleichsam staatlichen Ordnung und Anpassung an einander, so daß ihr Resultat kein Phantasma wird: ein Trieb regt den anderen an, jeder phantasirt und will seine Art Irrthum durchsetzen: aber jeder dieser Irrthümer wird sofort wieder die Handhabe für einen anderen Trieb (z. B. Widerspruch Analyse usw.). Mit allen den vielen Phantasmen erräth man endlich fast nothwendig die Wirklichkeit und Wahrheit, man stellt so viele Bilder hin, daß endlich eins trifft, es ist ein Schießen aus vielen vielen Gewehren nach Einem Wilde; ein großes Würfelspielen, oft nicht in Einer Person, sondern in Vielen, in Generationen sich abspielend: wo dann Ein Gelehrter eben auch nur Ein Phantasma durchführt und wenn es von einem anderen zu Nichte gemacht ist, so hat sich die Zahl der Möglichkeiten (in der die Wahrheit stecken muß) verkleinert—ein Erfolg! Es ist eine Jagd. Je mehr Individuen einer in sich hat, um so mehr wird er allein Aussicht haben, eine Wahrheit zu finden—dann ist der Kampf in ihm: und alle Kräfte muß er dem einzelnen Phantasma zu Gebote stellen und später wieder einem anderen entgegengesetzten: große Schwungkraft, großen Widerwillen am Einerlei, vielen und plötzlichen Ekel muß er haben.— Jene Naturen, welche nur vergleichen, was Andere Einzelne schon phantasirt haben, bedürfen vor allem der Kälte: diese reden von der “Kälte der Wissenschaft,” es sind die Unproduktiven, eine wichtige Classe Menschen, da sie den Austausch zwischen den Producenten herstellen, eine Art Kaufleute, sie schätzen den Werth der Produkte ab. Auch diese Fähigkeit kann in Einem Menschen, der sonst produktiv ist, zuletzt noch da sein. Aber auch noch eine wichtige Fähigkeit: den Genuß an allen den verworfenen Phantasmen, das Schauspiel ihres Kampfes usw. zu haben—die Natur darin sehen.