Herbst 1881 11 [101-200]
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Wenn wir die Eigenschaften des niedersten belebten Wesens in unsere “Vernunft” übersetzen, so werden moralische Triebe daraus. Ein solches Wesen assimilirt sich das Nächste, verwandelt es in sein Eigenthum (Eigenthum ist zuerst Nahrung und Aufspeicherung von Nahrung), es sucht möglichst viel sich einzuverleiben, nicht nur den Verlust zu compensiren—es ist habsüchtig. So wächst es allein und endlich wird es so reproduktiv—es theilt sich in 2 Wesen. Dem unbegrenzten Aneignungstriebe folgt Wachsthum und Generation.— Dieser Trieb bringt es in die Ausnützung des Schwächeren, und in Wettstreit mit ähnlich Starken, er kämpft d. h. er haßt, fürchtet, verstellt sich. Schon das Assimiliren ist: etwas Fremdes sich gleich machen, tyrannisiren—Grausamkeit.
Es ordnet sich unter, es verwandelt sich in Funktion und verzichtet auf viele ursprüngliche Kräfte und Freiheiten fast ganz, und lebt so fort—Sklaverei ist nothwendig zur Bildung eines höheren Organismus, ebenso Kasten. Verlangen nach “Ehre” ist—seine Funktion anerkannt wissen wollen. Der Gehorsam ist Zwang Lebensbedingung, schließlich Lebensreiz.— Wer am meisten Kraft hat, andere zur Funktion zu erniedrigen, herrscht—die Unterworfenen aber haben wieder ihre Unterworfenen—ihre fortwährenden Kämpfe: deren Unterhaltung bis zu einem gewissen Maaße ist Bedingung des Lebens für das Ganze. Das Ganze wiederum sucht seinen Vortheil und findet Gegner.— Wenn alle sich mit “Vernunft” an ihren Posten stellen wollten und nicht fortwährend so viel Kraft und Feindseligkeit äußern wollten, als sie brauchen, um zu leben—so fehlte die treibende Kraft im Ganzen: die Funktionen ähnlichen Grades kämpfen, es muß fortwährend Acht gegeben werden, jede Laßheit wird ausgenützt, der Gegner wacht.— Ein Verband muß streben überreich zu werden (Übervölkerung), um einen neuen zu produziren (Colonien), um zu zerfallen in 2 selbständige Wesen. Mittel, dem Organismus Dauer, ohne das Ziel der Fortpflanzung, zu geben, richten ihn zu Grunde, sind unnatürlich—wie jetzt die klugen “Nationen” Europa’s.— Fortwährend scheidet jeder Körper aus, er secernirt das ihm nicht Brauchbare an den assimilirten Wesen: das was der Mensch verachtet, wovor er Ekel hat, was er böse nennt, sind die Excremente. Aber seine unwissende “Vernunft” bezeichnet ihm oft als böse, was ihm Noth macht, unbequem ist, den Anderen, den Feind, er verwechselt das Unbrauchbare und das Schwerzuerwerbende Schwerzubesiegende Schwer-Einzuverleibende. Wenn er “mittheilt” an Andere, “uneigennützig” ist—so ist dies vielleicht nur die Ausscheidung seiner unbrauchbaren faeces, die er aus sich wegschaffen muß, um nicht daran zu leiden. Er weiß, daß dieser Dünger dem fremden Felde nützt und macht sich eine Tugend aus seiner “Freigebigkeit.”— “Liebe” ist Empfindung für das Eigenthum oder das, was wir zum Eigenthum wünschen. [Vgl. Wilhelm Roux, Der Kampf der Theile im Organismus. Ein Beitrag zur Vervollständigung der mechanischen Zweckmässigkeitslehre. Leipzig: Engelmann, 1881.]