Herbst 1881 11 [101-200]
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Schadenwollen als Tendenz ist jetzt im Kampfe der Parteien (der politischen und auch der wissenschaftlichen) seines Tadels entkleidet, ebenso in der Concurrenz der Kaufleute, der Staaten: man untersagt sich gewisse Mittel, aber nicht die Tendenz! Kritik gegen alles geübt ist eine letzte Machtäußerung der Einflußlosen—eine Fortsetzung der Hexerei
Nützenwollen durch Gebete und Erhöhung der Phantasie galt ehemals für eine Hauptbeschäftigung des Menschen, einen Gott vergewaltigen und bestimmen zum Guten—es ist das Seitenstück zur Magie: einen Teufel vergewaltigen und zwingen zum Bösen: was wohl auch eine Hauptbeschäftigung war. Das Schwelgen im Wollen und im Bilde der erreichten Absicht und der Glaube, daß dies das Mittel zur Erreichung der Absicht sei: darin waren Alle einmüthig. Man glaubte an einen geheimen Weg außer dem der That und der Mechanik, um zum gleichen Ziel zu kommen.
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| [Vgl. Kuno Fischer, Geschichte der neuern Philosophie. Bd. 1, Ed. 2, Th. 2. Descartes' Schule. Geulinx, Malebranche, Baruch Spinoza. Heidelberg: Bassermann, 1865.] |
Spinoza: wir werden nur durch Begierden und Affekte in unserem Handeln bestimmt. Die Erkenntniß muß Affekt sein, um Motiv zu sein.— Ich sage: sie muß Leidenschaft sein, um Motiv zu sein.
ex virtute absolute agere = ex ductu rationis agere, vivere, suum Esse conservare. “von Grund aus nicht anderes suchen als den eigenen Nutzen” “Niemand strebt um eines anderen Wesens willen das eigene Sein zu erhalten.” “Das Streben nach Selbsterhaltung ist die Voraussetzung aller Tugend.”
“Die Menschen sind sich gegenseitig am nützlichsten, wenn jeder seinen eigenen Nutzen sucht.” “Kein einzelnes Wesen in der Welt ist dem Menschen so nützlich, als der Mensch der nach der Richtschnur seiner Vernunft ex ductu rationis lebt.”
“Gut ist alles, was der Erkenntniß wahrhaft dient; schlecht dagegen alles, was sie hindert.”
Unsere Vernunft ist unsere größte Macht. Sie ist unter allen Gütern das Einzige, das alle gleichmäßig erfreut, das keiner dern anderen beneidet, das jeder dem Anderen wünscht und um so mehr wünscht als er selbst davon hat.— Einig sind die Menschen nur in der Vernunft. Sie können nicht einiger sein als wenn sie vernunftgemäß leben. Sie können nicht mächtiger sein als wenn sie vollkommen übereinstimmen.— Wir leben im Zustande der Übereinstimmung mit Anderen und mit uns selbst jedenfalls mächtiger als in dem des Zwiespalts. Die Leidenschaften entzweien; sie bringen uns in Widerstreit mit den anderen Menschen und mit uns selbst, sie machen uns feindselig nach außen und schwankend nach innen.— ego: das Alles ist Vorurtheil. Es giebt gar keine Vernunft der Art, und ohne Kampf und Leidenschaft wird alles schwach, Mensch und Gesellschaft.
(“Die Begierde ist das Wesen des Menschen selbst, nämlich das Streben, kraft dessen der Mensch in seinem Sein beharren will.”
“Jeder ist in dem Grade ohnmächtig als er seinen Nutzen d. h. seine Selbsterhaltung außer Acht läßt.”
“Das Streben nach Selbsterhaltung ist die erste und einzige Grundlage der Tugend.”
Es giebt im Geiste keinen freien Willen, sondern der Geist wird, dies oder jenes zu wollen, von einer Ursache bestimmt, die ebenfalls von einer anderen bestimmt ist, und diese wiederum von einer anderen, und so fort bis ins Endlose.
Der Wille ist das Vermögen zu bejahen und zu verneinen: nichts Anderes.
Dagegen ich: Voregoismus, Heerdentrieb sind älter als das “Sich-selbst-erhalten-wollen.” Erst wird der Mensch als Funktion entwickelt: daraus löst sich später wieder das Individuum, indem es als Funktion unzählige Bedingungen des Ganzen, des Organismus, kennen gelernt und allmählich sich, einverleibt hat.
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| [Vgl. Kuno Fischer, Geschichte der neuern Philosophie. Bd. 1, Ed. 2, Th. 2. Descartes' Schule. Geulinx, Malebranche, Baruch Spinoza. Heidelberg: Bassermann, 1865.] |
Die Jesuiten hielten es mit dem Empirismus, Anhänger des Gassendi, Gegner des Descartes (den sie mit den Gründen des Sensualismus angreifen): wie Pater Bourdin. Also sie sind für Thomas Aristoteles Gassendi—gegen Augustin Plato Descartes Idealismus. (Congregation der Väter des Oratorium Jesu und ebenso Port-Royal) Pascal
Arnold Geulinx (in Niederlanden geboren 1625): impossibile est ut is faciat, qui nescit quomodo fiat. Quod nescio, quomodo fiat, ich non facio.— Qua fronte dicam, ich me facere quod quomodo fiat nescio?— Mein Wille soll sich nicht weiter erstrecken als mein Vermögen. Ubi nihil vales, ibi nihil velis.
Virtus est amor rationis.— Amor rationis hoc agit in amante, ut se ipse deserat, a se penitus recedat. Humilitas est incuria sui. Partes humilitatis sunt duae: inspectio sui et despectio sui.
Malebranche: “Betrachte man die Sinne als falsche Zeugen in Betreff der Wahrheit, aber als treue Rathgeber in Rücksicht auf die Erhaltung und den Nutzen des Lebens!” Wir irren, sobald unser Denken in die Abhängigkeit von den Sinnen geräth, wenn der Geist vom Körper sich abhängig macht. Sünde ist es, welche diese Abhängigkeit verschuldet. Das Erkennenwollen durch die Sinne, die Quelle des Irrthums—ist Sünde. Irrthum durch die Sünde verursacht! Der Irrthum wird durch Abkehrung von Gott möglich, durch Unterwerfung unter das Joch des Körpers.
Spinoza oder Teleologie als Asylum ignorantiae.