Herbst 1881 11 [101-200]
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Damit es irgend einen Grad von Bewußtsein in der Welt geben könne, mußte eine unwirkliche Welt des Irrthums—entstehen: Wesen mit dem Glauben an Beharrendes an Individuen usw. Erst nachdem eine imaginäre Gegenwelt im Widerspruch zum absoluten Flusse entstanden war, konnte auf dieser Grundlage etwas erkannt werden—ja zuletzt kann der Grundirrthum eingesehn werden worauf alles beruht (weil sich Gegensätze denken lassen)—doch kann dieser Irrthum nicht anders als mit dem Leben vernichtet werden: die letzte Wahrheit vom Fluß der Dinge verträgt die Einverleibung nicht, unsere Organe (zum Leben) sind auf den Irrthum eingerichtet. So entsteht im Weisen der Widerspruch des Lebens und seiner letzten Entscheidungen; sein Trieb zur Erkenntniß hat den Glauben an den Irrthum und das Leben darin zur Voraussetzung.
Leben ist die Bedingung des Erkennens. Irren die Bedingung des Lebens und zwar im tiefsten Grunde Irren. Wissen um das Irren hebt es nicht auf! Das ist nichts Bitteres!
Wir müssen das Irren lieben und pflegen, es ist der Mutterschooß des Erkennens. Die Kunst als die Pflege des Wahnes—unser Cultus.
Um des Erkennens willen das Leben lieben und fördern, um des Lebens willen das Irren Wähnen lieben und fördern. Dem Dasein eine ästhetische Bedeutung geben, unseren Geschmack an ihm mehren, ist Grundbedingung aller Leidenschaft der Erkenntniß.
So entdecken wir auch hier eine Nacht und einen Tag als Lebensbedingung für uns: Erkennen-wollen und Irren-wollen sind Ebbe und Fluth. Herrscht eines absolut, so geht der Mensch zu Grunde; und zugleich die Fähigkeit.