Herbst 1881 11 [201-348]
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Ich bin immer erstaunt, ins Freie tretend zu denken, mit welcher herrlichen Bestimmtheit alles auf uns wirkt, der Wald so und der Berg so und daß gar kein Wirrwarr und Versehen und Zögern in uns ist, in Bezug auf alle Empfindungen. Und doch muß die allergrößte Unsicherheit und etwas Chaotisches dagewesen sein, erst in ungeheuren Zeitstrecken ist das Alles so fest vererbt; Menschen, die wesentlich anders empfanden, über Raumentfernung, Licht und Farbe usw. sind bei Seite gedrängt worden und konnten sich schlecht fortpflanzen. Diese Art, anders zu empfinden, muß in langen Jahrtausenden als “die Verrücktheit” empfunden und gemieden worden sein. Man verstand sich nicht mehr, man ließ die “Ausnahme” bei Seite zu Grunde gehen. Eine ungeheure Grausamkeit seit Beginn alles Organischen hat existirt, alles ausscheidend, was “anders empfand.”— Die Wissenschaft ist vielleicht nur eine Fortsetzung dieses Ausscheidungsprozesses, sie ist völlig unmöglich, wenn sie nicht “den Normalmenschen” als oberstes, mit allen Mitteln zu erhaltendes “Maaß” anerkennt!— Wir leben in den Überresten der Empfindungen unserer Urahnen: gleichsam in Versteinerungen des Gefühls. Sie haben gedichtet und phantasirt—aber die Entscheidung, ob eine solche Dichtung und Phantasma leben bleiben durfte, war durch die Erfahrung gegeben, ob sich mit ihr leben lasse oder ob man mit ihr zu Grunde gehe. Irrthümer oder Wahrheiten—wenn nur Leben mit ihnen möglich war! Allmählich ist da ein undurchdringliches Netz entstanden! Darein verstrickt kommen wir ins Leben, und auch die Wissenschaft löst uns nicht heraus.