Sommer 1883 13 [1-36]
13 [3]
Setzt einen Heiligen auf ein Schiff: das Meer selber wird vor ihm flüchten und brüllen vor Furcht. Also bringt der Ruhigste der Menschen den Sturm: und wer Wind war und Welle, wird mit eiligen Füßen vor mir davonlaufen.
Wohl bin ich ein Wald und eine Nacht von Cypressen: aber wer sich vor meinem Dunkel nicht scheut, der findet auch Rosenhänge unter meinen Cypressen.
Helle Augen will ich euch geben und Grausen vor dem Wirklichen: so sollt ihr lernen mir nachzuschweben in ferne Zukünfte.
Und zürnt mir nicht, wenn ich diesen kleinen Gott ein wenig peitsche: er schlief mir hier am Brunnen ein, der Tagedieb; er haschte wohl zu viel nach Schmetterlingen?
“Wohl brach ich die Ehe: aber zuerst brach mich die Ehe” sagte das Weib.
“Nun wurde ich zum See mit weißen Rosen: die Winde der Höhe spielen mit mir und lachen gleich Kindern. Was vergaß ich nicht! Wer vergaß mich nicht! Und oft noch vergesse ich sogar meine Vergessenheit.” Zarathustra unter Kindern.
Der ferne Fels wirft mir mein Wort zurück und spottet also meines Vergessens—schon vergaß ich’s ja, was ich etwa in die Ferne rief. Ach, was vergaß ich nicht!
“Er war schon in der Unterwelt?” —
“Gewißlich war er das: war er doch unter uns! Der Mensch, der Mensch allein ist die Unterwelt!”
“Zarathustra ist todt? Ihr wißt nicht, was ihr sagt! Sehen wir ihn nicht schreiten! Wahrlich, er will noch die Unterwelt erlösen und ans Licht bringen.”— “Er geht zur Hölle, der Teufel holt ihn!” “Glaubt mir es auf mein Wort, der Teufel holt ihn nicht—wie vermöchte er das!, aber er holt sich noch den Teufel!”— Die Schiffer. Schluß.
“In eine Grube von Schnee warf ich meinen Geist.”
Und wenn dir nicht die Sterne vom Himmel fallen wollen, so wirf deine Sterne nach dem Himmel: das sei deine ganze Bosheit.
“Ich rede: denn ich sah. Nun muß ich ganz Mund sein: denn jüngst war ich ganz Auge und Unschuld des Spiegels” So spricht der Künstler.
“Du weißt es doch, Pana mein Kind, mein Sternlein, mein Goldohr—du weißt es doch, daß auch ich dich lieb habe?”
Die Liebe zu mir hat dich überredet, ich sehe es: aber noch verstehe ich den Willen deiner Liebe nicht, Pana! —
Als er aber seine Schlange gegen sich züngeln sah, da verwandelte sich langsam, langsam sein Gesicht: widerwillig sprang ihm das Thor der Erkenntniß auf: wie ein Blitz flog es hinein in die Tiefen seines Auges und wieder wie ein Blitz: es fehlte noch ein Augenblick, und er hätte gewußt Als das Weib diese Verwandlung sah, schrie es auf wie aus der höchsten Noth. “Stirb Zarathustra” —
Mit seiner Linken drängte er den Adler zurück, der gegen ihn mit dem Ungestüm seiner Flügel schlug: er schrie, wie einer der zur Flucht räth; gern hätte er ihn davon getragen. Zu seiner Rechten auf dem Tische der Felsplatte
Wer nur Zuschauer des Lebens sein will, der mag sich hüten, dort zu sitzen, wo die Sonne auf die Stufen brennt: es sei denn, daß er blind werden wolle.
“Und was soll ich mit deinem Messer thun, Pana? Soll ich die gelben Trauben vom Weinstock schneiden? Siehe, welche Fülle um mich ist!”
Und auch die Nächte soll er euch nicht untergehen, sondern blutroth, gleich einer Mitternachtsonne, am Horizonte bleiben.
Menschen, die sich verbergen wollten und sich des reinen Himmels zu schämen hatten, schufen sich diese süß duftenden Höhlen.
Und erst wenn Gras und rother Mohn auf den Mauern wuchert und der Himmel durch zerbrochne Decken blickt, will ich diesen Stätten eures Gottes mein Herz zuwenden.
Wie hätte ich es ertragen, wenn ich nicht den Übermenschen mehr liebte als euch!
Wozu gab ich euch doch den hundertfältigen Spiegel? Und die ewigen Blicke?
Ich überwand auch die Liebe zu euch mit der Liebe zum Übermenschen.
Und wie ich euch ertrage, so müßt ihr euch selber ertragen, aus Liebe zum Übermenschen.
Ihr seid mir der Stein, in dem das erhabenste aller Bildwerke schläft: es giebt keinen anderen Stein.
Und wie mein Hammer nach euch schlägt, so sollt ihr mir selber nach euch schlagen! Der Hammerruf soll das schlafende Bild aufwecken!
Und wenn ich auf mein wildestes Roß steigen will, so hilft mir mein Speer am besten hinauf: der ist meines Fußes bereitester Diener.
Die beste Maske, die wir tragen, ist unser eigenes Gesicht.
Gräberstraßen: dorthin zu führen, wo es am schönsten heitersten und hellsten ist. Nicht an düstre Orte.
Und wenn ich meiner eignen Schönheit den Spiegel vorhalte, schaudert meine Seele vor göttlichen Begierden: und Anbetung ist noch in meiner Eitelkeit.
Und Könige sollen noch den Esel meiner Weisheit führen.
Und als ich im Schlafe lag, da fraß ein Schaf an dem Epheukranze meines Hauptes!
Indem ich emporstrebte wider meine Last, verjüngte ich mich: und gerade als ich härter wurde in mir, lernte ich auch noch die Anmuth.
Erfinderisch in kleinen Schlauheiten und lüstern nach solchen, deren Klugheit auf lahmen Füßen geht: so stehen und warten sie vor ihrem Krame, diese Krämer!
Wehe allen Liebenden, die nicht auch eine Höhe haben, welche auch über Liebe und Mitleiden ist.
Auf Asche schreit’ ich empor den Aschenberg, gen Abend: lang und länger wird mein Schatten.
Im veilchenblauen Meere zur Tiefe liegt ein Kahn: sein Schiffer starrt nach mir hinauf die Hand am Auge.
Jetzt fährt zur Hölle Zarathustra—so sagt der Fährmann schaudernd und schlägt sein Kreuz.
Laß mir das Kreuz, du irrtest! Noch holt mich nicht der Teufel, Fährmann! vielleicht daß ich mir den Teufel hole!
Zum mindesten soll sein Höllenhund mir Rede stehen: eine Antwort will ich aus dem Abgrunde seines Rachens.
Feuer und Asche soll er herauf mir stöhnen und brüllen: so mag ich’s gerne, daß mir Unthiere antworten.
Wenige verstehen es, vornehm zu bleiben auch in der Verehrung: und lieber noch sehe ich den Schamlosen und seine Unschuld als die verrenkten Augen eurer Andacht und Huldigung!
Nun steht nur noch die kleinste Kluft zwischen mir und dir: aber wehe! Wer schlug je eine Brücke über die kleinsten Klüfte?
Deine Knie beten an und deine Hände sind Lobpreisung: aber dein Herz weiß nichts davon.
In die Höhe warf ich mich einst mit gebenden Händen: aber als ich niederfiel, fiengen drei Lanzen mich auf—also gieng ich als Opfer meinen Weg zur Erde aus der Höhe.
in den Unterkiefer des Wolfs setzte ich meinen Fuß: so riß ich ihm den Rachen auf.
lachend sterben die Könige des Nordens —
ein Band gewoben aus dem Barthaar einer Jungfrau und dem Schalle eines Katzentritts—
Wer hält mir die Schale vor das Antlitz, daß das Gift der Natter hinein träufe?
Ich will nicht, daß aus der Weisheit ein Kranken- und Armenhaus für schlechte Dichter werde.
Als ob es nur Einen Steg zur Zukunft gäbe: gleich Schafen drängen sie sich über ihren Steg.
“der Erkennende zum Schaffenden gemacht”!
Und was schiert es euch, wenn sich mein Strom in Irrnisse wirft und unwegsame Schluchten: denn wie sollte ein Strom nicht zum Meere den Weg finden?
Wohl fand ich in mir einen See: ein Einsiedler ist der und ein Selbstgenügsamer: in den warf sich mein Strom der Liebe: und nun reißt er den See mit sich fort zum Meere!
“Wir haben gar keine Meinung, wenn man uns nicht eine Meinung giebt: und man giebt sie uns.
Wir haben gar keine Stärke, wenn man uns nicht stark wähnt: und Jedermann wähnt uns stark”—die Erbärmlichen Gegenwärtigen.
Ich ertrage und trage euch, noch fand ich euch immer leichtgewichtig. Und selbst wenn ich unter meiner eigenen Last keuche, beladen mit mir selber, was thut es, daß ihr Käfer und Flügelwürmer euch noch auf mein Bündel setzt!
gegen die “Moral”
Und als ich statt des reinen “ich will” aus plumpen Mäulern mir “du sollst” entgegenrufen hörte, da begann meine Gefahr: ich haßte mein reines “ich will” aus plumpen Mäulern —
Ich vernichtete euer Gut und Böse, ich zerriß diese Stricke: so allein lernte ich die Liebe zu meinem Guten.
Schwarz und schwärzend ist die Kunst aller Taranteln: Taranteln aber heiße ich die Schwarzkünstler des Geistes, welche die Lehrer “der schlechtesten Welt” heißen.
Wenn es Götter gäbe, wie hielt ich’s aus, kein Gott zu sein? Aber es giebt keine Götter.
Seine Seele jauchzt im Verborgenen darob, daß Rache noch in aller Gerechtigkeit geübt wird: und die meine darob, daß noch in aller Rache ein Funken vom Ambos der Gerechtigkeit abspringt.
In große Worte seid ihr verliebt wie in bunte Bälge: und auf Teppichen von Lügen versteht euer Fuß sich ein Fest zu machen, ihr Weichlinge! (Idealisten)
Ihr Mitleidigen, wenn ihr euch von der Höhe zu den Menschen herabwerft, was darf euch an gebrochnen Gliedmaßen gelegen sein!
Aber es schwieg: furchtbar und doppelt schwieg es. Ach, ihr kennt sie nicht, die doppelte Stille, die herzzerschnürende.
Alpa! schrie ich Die Furcht und Sehnsucht schrie aus mir: eine Stimme wollte ich wieder hören
Eine Stimme von Menschen her, wie sie ein Wind oder ein Vogel davon trägt.
Starker Wille? Das ist viel, doch nicht genug. Einen langen starken Willen brauche ich, ein herzenshartes ewiges Entschlossensein.
Wie dies Lachen mir die Fenster brach! Wie es mir die Eingeweide zerriß und das Herz aufschlitzte!
Das ist dein Unverzeihlichstes: du hast die Macht, und du willst nicht herrschen.
Siehst du denn nicht, wessen sie alle am meisten bedürfen? Das ist der, welcher befehlen kann.
Sie wollen Alle die Last nicht tragen des Unbefohlenen, aber das Schwerste leisten sie, wenn du ihnen befiehlst.
Selten ist der Wille, der Ungeheures fordert: leichter findest du den, welcher es thut.
Euch treibt noch kein starker Wind und Wille: zu steif steht ihr mir noch da und zu geraden Rückens.
Ach, daß ihr erst gerundet und gebläht über das Meer giengt, dem Segel gleich, und zitternd vor dem Ungestüm und Athem eines Willens!
Nun ist alle Luft erhitzt, Brand ist der Athem der Erde. Nun geht ihr Alle nackend, ihr Guten und Bösen! So hat der Erkennende sein Fest.
Ja, das ist die Welt ohne Kleider. Was hat die Erde beben gemacht? Sind es nicht die stillsten Worte eines Heiligen?
Kalt strömt jede tiefe Erkenntniß, eiskalt sind die innersten Brunnen: und also ist es Labsal allen heißen Händen und Handelnden.
Ich liebe das Brausen des schlechten Rufs: wie das Schiff den Widerspruch der Welle gern hört, durch den sein Kiel sich bricht. Leichter ist mir mein Weg, wenn um mich der Widerstand schäumt.
Aber wie ich von euch aufwachte und zu mir kam, so heiße ich auch euch wach zu werden und von euch aufzuwachen.
Und warum wolltet ihr nicht, auch—meine Brüder—“zu mir kommen?”
Nahe dem Quelle mit bescheidener Hand: so füllt er sie dir am leichtesten.
Erlöser? Binder waret ihr und Bändiger: das soll man euch zu Ehren sagen.
Heut bin ich Menschen-müde, heut sollen mir die Thiere lieb sein. Und händevoll Liebe habe ich heute an sie wegzuwerfen.
Ach, daß ich ein Säemann und Gärtner unter Thieren sein könnte! Wohl fände ich da noch Erdreich, auf dem Stolzeres wüchse als das Wesen, deß ich müde wurde.
Rede dein Wort nur! Zerbrich an ihm! Was liegt an dir und deiner Bescheidenheit!
Unberedbar ist meine Bescheidenheit.
Ihr wolltet beweisen, daß euer Großvater Recht hatte und daß die Wahrheit immer bei den Großvätern war.
Mehr Volk ist nämlich der Großvater stets als irgend ein Enkel.
Ihr blickt zurück, auch wenn ihr vorwärts geht: und oft muß man euch wider den Leib rennen.
Gern wohl baut ihr an der Stadt der Zukunft: aber dazu bestellt ihr die Grabmäler und Würden vergangener Welten.