Sommer 1886 - Herbst 1887 5 [1-110]
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Was ist “erkennen”? Zurückführen von etwas Fremdem auf etwas Bekanntes, Vertrautes. Erster Grundsatz: das, woran wir uns gewöhnt haben, gilt uns nicht mehr als Räthsel, als Problem. Abstumpfung des Gefühls des Neuen, Befremdenden: alles, was regelmäßig geschieht, scheint uns nicht mehr fragwürdig. Deshalb ist die Regel suchen der erste Instinkt des Erkennenden: während natürlich mit der Feststellung der Regel noch gar nichts “erkannt” ist!— Daher der Aberglaube der Physiker: wo sie verharren können d.h. wo die Regelmäßigkeit der Erscheinungen die Anwendung von abkürzenden Formeln erlaubt, meinen sie, sei erkannt worden. Sie fühlen “Sicherheit”: aber hinter dieser intellektuellen Sicherheit steht die Beruhigung der Furchtsamkeit: sie wollen die Regel, weil sie die Welt der Furchtbarkeit entkleidet. Die Furcht vor dem Unberechenbaren als Hinter-Instinkt der Wissenschaft.
Die Regelmäßigkeit schläfert den fragenden (d.h. fürchtenden) Instinkt ein: “erklären” d.h. eine Regel des Geschehens aufzeigen. Der Glaube an das “Gesetz” ist der Glaube an die Gefährlichkeit des Willkürlichen. Der gute Wille, an Gesetze zu glauben, hat der Wissenschaft zum Siege verholfen (namentlich in demokratischen Zeitaltern)