Sommer-Herbst 1873 29 [101-232]
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Schiller gebrauchte die Historie im monumentalen Sinne, doch nicht als handelnder Mensch, sondern als zur That antreibender, als zum Dran drängender Dramatiker. Vielleicht müssen wir jetzt alle Dinge eine Stufe weiter stellen: wozu früher die Historie diente, dazu jetzt das Drama. Schiller’s Ahnung war die rechte: das Wortdrama muss die Historie bezwingen, um die Wirkung hervorzubringen, die ursprünglich die Historie (monumentalisch dargestellt) hatte. Das historische Drama darf aber um keinen Preis antiquarisch sein; Shakespeare hat das Rechte, der Römer als Engländer auftreten liess. Im Drama wird der mächtige Mensch vorangestellt: es ist nicht als statistisches Gesetz, darin liegt die Erhebung über die jetzige Wirkung der Geschichte. Nur mache man nicht die höchsten Kunstansprüche daran: man stelle das Drama hin als ein rhetorisches Kunstwerk: was es wirklich bei Schiller ist, man unterschätze nicht die Kraft der Beredsamkeit und lasse wenigstens unsre Schauspieler gut reden lernen, da sie wahrscheinlich gar nicht mehr lernen werden, etwas Poetisches vorzutragen. Dadurch dass wir alle die höchsten Wirkungen der Tragödie für das musikalische Drama separiren, bekommen wir eine freiere Stellung zum Wortdrama: es darf rhetorisch sein, es darf dialektisch sein, es darf naturalistisch sein, es soll auf die Moralität wirken, es soll schillerisch sein. Der Prinz von Homburg ist das Musterdrama. “Natürlich” zu sprechen ist in der höchsten Kunst wieder nöthig: da es aber jetzt auch im Leben keine Natürlichkeit des Sprechens giebt, so übe man die Schauspieler in der Convention des Rhetorischen und verachte die Franzosen nicht. Der Weg zum Stil muss gemacht, nicht übersprungen werden: dem hieratisch bedingten “Stile,” das heisst einer Convention, wird man nicht ausweichen können. Goethe’s Theaterleitung.