Sommer-Herbst 1873 29 [101-232]
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Wenn ich einmal recht in Wünschen ausschweife, So denke ich mir, dass mir die schreckliche Bemühung, sich selbst zu erziehen erleichtert worden wäre und ich einen Philosophen als Erzieher gefunden hätte, dem man gehorchen könnte, weil man ihm mehr als sich vertraute! Dann suche ich wohl die Grundsätze seiner Erziehung zu errathen, z. B. über harmonische und partielle Bildung: und seine Methoden. Mühsam würde es sein, und wir, an die Bequemlichkeit der Erziehung und an das Sichgehenlassen gewöhnt, würden oft verzagen.— So aber, ohne solche Erzieher, fühlt man seine Kräfte oft im Kampfe mit einander, in Empörung, auch seine geistigen Triebe. Zwar glauben die Gelehrten, man könne mit der Wissenschaft nicht leicht genug thun: der Wissenschaft nicht genug, das ist wahr, aber sich übergenug, zuviel: das ist auch wahr. Ich sehe lauter geistige Krüppel: ihre partielle Ausbildung hat ihnen einen Höcker zugetragen.— Was heisst harmonisch und partiell? Sollten wir etwa die partielle Ausbildung überhaupt fürchten? Die pars soll vielmehr nur das Centrum werden für alle andern Kräfte, die Sonne im Systeme. Aber ein Balanciren mit Gegengewichten ist überall nöthig, wo eine grosse Kraft ist. Kleist—Philosophie (ihm fehlte Schopenhauer).