Sommer-Herbst 1873 29 [101-232]
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Nachdem wir aus der Schule der Franzosen heraus sind, sind wir hülflos geworden: wir wollten natürlicher werden, sind es auch geworden, indem man sich möglichst gehen liess und im Grunde nur schlotterig und beliebig nachmachte, was man früher peinlich nachmachte. Es ist alles erlaubt zu denken, aber im Grunde ist gerade nur die öffentliche Meinung erlaubt. Man ist scheinbar frei geworden, indem man sich die Fesseln der strengen Convention zerriss und die Stricke der Philisterei eintauschte.
“Einfach und natürlich” zu sein ist das höchste und letzte Ziel der Cultur: inzwischen wollen wir uns bestreben, uns zu binden und zu formen, damit wir zuletzt vielleicht ins Einfache und Schöne zurückkommen. Es ist ein so toller Widerspruch in unserer Schätzung der Griechen und. unserer Befähigung für deren Stil und Leben. Fast ist es unmöglich gemacht, auf einer der unteren und niederen Stufen des Stils stehen zu bleiben (was doch so nöthig wäre!), weil das Wissen um das Höhere und Bessere so mächtig ist, dass man gar nicht mehr den Muth hat, das Geringere auch nur zu können. Hier ist die grösste Gefahr der Historie.