Herbst 1881 11 [1-100]
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Vielleicht lassen sich alle moralischen Triebe auf das Haben-wollen und Halten-wollen zurückführen. Der Begriff des Habens verfeinert sich immer, wir begreifen immer mehr, wie schwierig es ist zu haben und wie sich das scheinbare Besitzthum immer noch uns zu entziehen weiß—so treiben wir das Haben in’s Feinere: bis zuletzt das völlige Erkennen des Dinges die Voraussetzung ist, um es zu erstreben: oft genügt uns das völlige Erkennen schon als Besitz, es hat keinen Schlupfwinkel mehr vor uns und kann uns nicht mehr entlaufen. Insofern wäre Erkenntniß die letzte Stufe der Moralität. Frühere sind z. B.: ein Ding sich zurecht phantasiren und nun zu glauben, daß man es ganz besitze, wie der Liebende mit der Geliebten, der Vater mit dem Kinde: welcher Genuß nun am Besitz!—aber uns genügt da der Schein. Wir denken uns die Dinge, die wir erreichen können, so, daß ihr Besitz uns höchst werthvoll erscheint: wir machen den Feind, über den wir zu siegen hoffen, für unseren Stolz zurecht: und ebenso das geliebte Weib und Kind. Wir haben zuerst eine ungefähre Berechnung was wir alles überhaupt erbeuten können—und nun ist unsere Phantasie thätig, diese zukünftigen Besitzthümer uns äußerst werthvoll zu machen (auch Ämter Ehren Verkehr usw.). Wir suchen die Philosophie, die zu unserem Besitz paßt d.h. ihn vergoldet. Die großen Reformatoren, wie Muhammed, verstehen dies, den Gewohnheiten und [dem] Besitz der Menschen einen neuen Glanz zu geben—nicht “etwas Anderes” sie erstreben zu heißen, sondern das was sie haben wollen und können, als etwas Höheres zu sehen (mehr Vernunft und Weisheit und Glück darin zu “entdecken” als sie bis jetzt darin fanden).— Sich selber haben wollen: Selbstbeherrschung usw.