Herbst 1885 - Herbst 1886 2 [1-100]
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Es giebt ein Mißverständniß der Heiterkeit, welches nicht zu heben ist: aber wer es theilt, darf zuletzt gerade damit zufrieden sein.— Wir, die wir zum Glücke flüchten—: wir, die wir jede art Süden und unbändige Sonnenfülle brauchen und uns dorthin an die Straße setzen, wo das Leben sich wie ein trunkener Fratzen-Festzug—als etwas das von Sinnen bringt—vorüberwälzt; wir, die wir gerade das vom Glücke verlangen, daß es “von Sinnen” bringt: scheint es nicht, daß wir ein Wissen haben welches wir fürchten? Mit dem wir nicht allein sein wollen? Ein Wissen, vor dessen Druck wir zittern, vor dessen Flüstern wir bleich werden? Diese hartnäckige Abkehr von den traurigen Schauspielen, diese verstopften und harten Ohren gegen alles Leidende, diese tapfere, spöttische Oberflächlichkeit, dieser willkürliche Epicureismus des Herzens, welcher nichts warm und ganz haben will und die Maske als ihre letzte Gottheit und Erlöserin anbetet: dieser Hohn gegen den Melancholiker des Geschmacks, bei dem wir immer auf Mangel an Tiefe rathen—ist das nicht alles nur Lebenshaß? Es scheint, wir wissen uns selber als allzu zerbrechlich, vielleicht schon als zerbrochen und unheilbar; es scheint, wir fürchten diese Hand des Lebens, daß es uns zerbrechen muß, und flüchten uns in seinen Schein, in seine Falschheit, seine Oberfläche und bunte Betrügerei; es scheint, wir sind heiter, weil wir ungeheuer traurig sind. Wir sind ernst, wir kennen den Abgrund: deshalb wehren wir uns gegen alles Ernste.
— — — wir lächeln bei uns über die Melancholiker des Geschmacks—ach wir beneiden sie noch, indem wir sie verspotten!—denn wir sind nicht glücklich genug, um uns ihre zarte Traurigkeit gestatten zu können. Wir müssen noch den Schatten der Traurigkeit fliehen: unsere Hölle und Finsterniß ist uns immer zu nahe. Wir haben ein Wissen, welches wir fürchten, mit dem wir nicht allein sein wollen; wir haben einen Glauben, vor dessen Druck wir zittern, vor dessen flüstern wir bleich werden—die Ungläubigen scheinen uns selig. Wir kehren uns ab von den traurigen Schauspielen, wir verstopfen das Ohr gegen das Leidende, das Mitleiden würde uns sofort zerbrechen, wenn wir nicht uns [zu] verhärten wüßten. Bleib uns tapfer zur Seite, spöttischer Leichtsinn: kühle uns, Wind, der über Gletscher gelaufen ist: wir wollen nichts mehr ans Herz nehmen, wir wollen zur Maske beten
Es ist etwas an uns, das leicht zerbricht: wir fürchten die zerbrechenden kindischen Hände? wir gehen dem Zufall aus dem Wege und retten uns — — —