April-Juni 1885 34 [101-272]
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Ein Mensch, dem fast alle Bücher oberflächlich geworden sind, der vor wenigen Menschen der Vergangenheit noch den Glauben übrig hat, daß sie Tiefe genug besessen haben, um—nicht zu schreiben, was sie wußten.
Ich habe so viele verbotene Dinge gedacht und bin dort guter Dinge und immer zu Hause gewesen, wo auch rechtschaffenen und tüchtigen Geistern der Athem ausgeht: so sehe ich es immer mit Erstaunen, wenn ich noch etwas mitzutheilen finde. Ob ich gleich recht gut weiß, daß mir meine Gedankenstriche lieber sind als meine mitgetheilten Gedanken.
Wie viele Gelehrte könnte ich beschäftigen; und wenn ich vielleicht in einzelnen Fällen dies gethan habe —
Der Übelstand, den es hat, Gelehrte auf Gebiete zu treiben, wo Freiheit, Feinheit und Unbedenklichkeit noth thun, liegt darin, daß sie nicht über sich hinaus sehen können—daß sie dort keine Augen haben, wo sie keine Erlebnisse [haben.] Um z. B. darzustellen, was das moralische Gewissen ist, dazu müßte Einer tief und verwundet und ungeheuer sein wie das Gewissen Pascals und dann noch jenen ausgespannten Himmel von heller und boshafter Geistigkeit besitzen, welche von oben herab dieses Gewimmel von Erlebnissen übersieht, ordnet und auslacht.
Als ich jünger war, meinte ich, daß mir einige hundert Gelehrte fehlten, welche ich wie Spürhunde in die Gebüsche—ich meine in die Geschichte der menschlichen Seele—treiben könnte, mir mein Wild aufzujagen. Inzwischen lernte ich, daß zu den Dingen, welche meine Neugierde reizen, auch Gehülfen schwer zu finden sind.