April-Juni 1885 34 [101-272]
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Was Richard Wagner betrifft: so habe ich die Enttäuschung vom Sommer 1876 nicht überwunden, die Menge des Unvollkommenen, am Werke und am Menschen, war mir auf Ein Mal zu groß;—ich lief davon. Später begriff ich, daß die gründlichste Loslösung von einem Künstler die ist, daß man sein Ideal geschaut hat. Nach einem solchen Blicke, wie ich ihn in jungen Jahren gethan habe—Zeugniß ist meine übrig gebliebene kleine Schrift über Richard Wagner—blieb mir nichts übrig, als, knirschend und außer mir, von dieser unausstehlichen “Wirklichkeit”—wie ich sie mit Einem Male sah—Abschied zu nehmen.— Daß er, alt geworden, sich verwandelte, geht mich nichts an: fast alle Romantiker dieser Art enden unter dem Kreuze—ich liebte nur den Wagner, den ich kannte, d. h. einen rechtschaffnen Atheisten und Immoralisten, der die Figur Siegfrieds, eines sehr freien Menschen, erfunden hat. Seither hat er noch, aus dem bescheidenen Winkel seiner Bayreuther Blätter heraus, genugsam zu verstehen gegeben, wie hoch er das Blut des Erlösers zu schätzen wisse, und—man hat ihn verstanden. Viele Deutsche, viele reine und unreine Thoren aller Art glauben seitdem erst an R[ichard] W[agner] als ihren “Erlöser.” Dies geht mir Alles wider den Geschmack. —
Es versteht sich von selber, daß ich Niemandem so leicht das Recht zugestehe, diese meine Schätzung zur seinigen zu machen; und allem unehrerbietigen Gesindel, wie es am heutigen Leibe der Gesellschaft gleich Läusen wimmelt, soll es gar nicht erlaubt sein, einen solchen großen Namen, wie der R[ichard] W[agner]s ist, überhaupt in das Maul zu nehmen, weder im Lobe, noch im Widerspruche.