April-Juni 1885 34 [101-272]
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Der M[oralist] ist ein Denker, welcher die Moral als Problem d. h. als fragwürdig nimmt: um dies mit einiger Reinlichkeit zu thun, muß er ohne moralische Neben- und Hinterabsichten denken können: ist aber ein außermoralisches Denken möglich?
Damit wir nicht in jene berühmte niaiserie allemande verfallen, welche den Namen Kants unsterblich gemacht hat (er antwortete sich auf die Frage —): man habe ein Vermögen dazu
Ein Wesen, das nicht getäuscht sein will, ist noch lange nicht ein solches, welches nicht t[äuschen] will, läßt sich gemeinhin gerne betrügen.
["niaiserie allemande" in Nietzsche's Library:
"niaiserie allemande"
Prosper Mérimée, Lettres à une inconnue. Précédées d'une étude sur Mérimée par H. Taine. Vol. 1. Paris: Michel Lévy Frères, 1874, 328:
"[Goethe's Wilhelm Meister] est un étrange livre, où les plus belles choses du monde alternent avec les enfantillages les plus ridicules. Dans tout ce qu’a fait Goethe, il y a un mélange de génie et de niaiserie allemande des plus singuliers: se moquait — il de lui-même ou des autres?" ([Goethe's Wilhelm Meister] is a strange book, where the most beautiful things in the world alternate with the most ridiculous childish behavior. In everything Goethe produces, there is the most remarkable mixture of genius and German inanity: poking fun at — himself or others?)
"Deutscher Niaiserie"
Arthur Schopenhauer, "Kritik der Kantischen Philosophie." In: Arthur Schopenhauer's sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. Bd. 2, 1: Die Welt als Wille und Vorstellung. Erster Band. Vier Bücher, nebst einem Anhange, der die Kritik der Kantischen Philosophie enthält. Leipzig: Brockhaus, 1873, 508:
"Jedoch die größte Frechheit im Auftischen haaren Unsinns, im Zusammenschmieren sinnleerer, rasender Wortgeflechte, wie man sie bis dahin nur in Tollhäuser vernommen hatte, trat endlich im Hegel auf und wurde das Werkzeug der plumpesten allgemeinen Mystifikation, die je gewesen, mit einem Erfolg, welcher der Nachwelt fabelhaft erscheinen und ein Denkmal Deutscher Niaiserie bleiben wird." (However, the greatest piece of impertinence in dishing out sheer nonsense, in combination with frantic tangles of meaningless words, the likes of which had been heard up to then only in madhouses, finally appeared in Hegel, and became the tool of the crudest general mystification that has ever been, with a result that will appear fabulous to posterity and remain a monument to German niaiserie.)]