April-Juni 1885 34 [101-272]
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Etwas kann unwiderlegbar sein: deshalb ist es noch nicht wahr.
Das Ganze der organischen Welt ist die Aneinanderfädelung von Wesen mit erdichteten kleinen Welten um sich: indem sie ihre Kraft, ihre Begierden, ihre Gewohnheiten in die Erfahrungen außer sich heraus setzen, als ihre Außenwelt. Die Fähigkeit zum Schaffen (Gestalten Erfinden Erdichten) ist ihre Grundfähigkeit: von sich selber haben sie natürlich ebenfalls nur eine solche falsche erdichtete vereinfachte Vorstellung.
“Ein Wesen mit der Gewohnheit zu einer Art von Regel im Traume”—das ist ein lebendiges Wesen. Ungeheure Mengen solcher Gewohnheiten sind schließlich so hart geworden, daß auf ihnen hin Gattungen leben. Wahrscheinlich stehen sie in einem günstigen Verhältniß zu den Existenzbedingungen solcher Wesen.
Unsere Welt als Schein, Irrthum—aber wie ist Schein und Irrthum möglich? (Wahrheit bezeichnet nicht einen Gegensatz zum Irrthum, sondern die Stellung gewisser Irrthümer zu anderen Irrthümern, etwa daß sie älter, tiefer einverleibt sind, daß wir ohne sie nicht zu leben wissen und dergleichen.)
Das Schöpferische in jedem organischen Wesen, was ist das?
— daß alles, das, was jedem seine “Außenwelt” ist, eine Summe von Werthschätzungen darstellt, daß grün, blau, roth, hart, weich, vererbte Werthschätzungen und deren Abzeichen sind.
— daß die Werthschätzungen in irgend einem Verhältniß zu den Existenzbedingungen stehn müssen, doch lange nicht so, daß sie wahr wären, oder präcis wären. Das Wesentliche ist gerade ihr Ungenaues Unbestimmtes, wodurch eine Art Vereinfachung der Außenwelt entsteht—und gerade diese Sorte von Intelligenz ist günstig zur Erhaltung.
— daß der Wille zur Macht es ist, der auch die unorganische Welt führt, oder vielmehr, daß es keine unorganische Welt giebt. Die “Wirkung in die Ferne” ist nicht zu beseitigen: etwas zieht etwas anderes heran, etwas fühlt sich gezogen. Dies ist die Grundthatsache: dagegen ist die mechanistische Vorstellung von Druck und Stoß nur eine Hypothese auf Grund des Augenscheins und des Tastgefühls, mag sie uns als eine regulative Hypothese für die Welt des Augenscheins gelten! [Vgl. Otto Liebmann, Gedanken und Thatsachen: philosophische Abhandlungen, Aphorismen und Studien. H. 1: Die Arten der Nothwendigkeit.— Die mechanische Naturerklärung.— Idee und Entelechie. Straßburg: Trübner, 1882:66. Vgl. Maximilian Drossbach, Ueber die scheinbaren und die wirklichen Ursachen des Geschehens in der Welt. Halle: Pfeffer, 1884:93f.]
— daß, damit dieser Wille zur Macht sich äußern könne, er jene Dinge wahrnehmen muß, welche er zieht, daß er fühlt, wenn sich ihm etwas nähert, das ihm assimilirbar ist.
— die angeblichen “Naturgesetze” sind die Formeln für “Machtverhältnisse” von— — —
Die mechanistische Denkweise ist eine Vordergrunds-Philosophie. Sie erzieht zur Feststellung der Formeln, sie bringt eine große Erleichterung mit sich,
— die verschiedenen philosophischen Systeme sind als Erziehungsmethoden des Geistes zu betrachten: sie haben immer eine besondere Kraft des Geistes am besten ausgebildet; mit ihrer einseitigen Forderung, die Dinge gerade so und nicht anders zu sehen.