November 1887 - März 1888 11 [1-100]
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(318) Ein Geist, der Großes will der auch die Mittel dazu will, ist nothwendig Skeptiker: womit nicht gesagt ist, daß er es auch scheinen müßte. Die Freiheit vor jeder Art überzeugung gehört zu seiner Stärke, das Freiblickenkönnen. Die große Leidenschaft, der Grund und die Macht seines Seins, noch aufgeklärter und despotischer als er selbst es ist,—sie nimmt seinen ganzen Intellekt in ihren Dienst (und nicht nur in ihren Besitz); sie macht unbedenklich; sie giebt ihm den Muth zu unheiligen Mitteln (sogar zu heiligen), sie gönnt überzeugungen, sie braucht und verbraucht selbst überzeugungen, aber sie unterwirft sich ihnen nicht. Das macht, sie allein weiß sich als souverain. Umgekehrt: das Bedürfniß nach Glauben, nach irgend etwas Unbedingtem von Ja und Nein, ist ein Bedürfniß der Schwäche; alle Schwäche ist Willensschwäche; alle Schwäche des Willens rührt daher, daß keine Leidenschaft, kein kategorischer Imperativ kommandirt. Der Mensch des Glaubens, der “Gläubige” jeder Art ist nothwendig eine abhängige Art Mensch, das heißt eine solche, die sich nicht als Zweck ansetzen, noch überhaupt von sich aus Zwecke ansetzen kann,—die sich als Mittel verbrauchen lassen muß ... Sie giebt instinktiv einer Moral der Entselbstung die höchste Ehre; zu ihr überredet sie Alles, ihre Klugheit, ihre Erfahrung, ihre Eitelkeit. Und auch der Glaube ist noch eine Form der Entselbstung. —