Frühjahr-Sommer 1888 16 [1-89]
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Woran ich meines Gleichen erkenne.— Philosophie, wie ich sie bisher verstanden und gelebt habe, ist das freiwillige Aufsuchen auch der verwünschten und verruchten Seiten des Daseins. Aus der langen Erfahrung, welche mir eine solche Wanderung durch Eis und Wüste gab, lernte ich Alles, was bisher philosophirt hat, anders ansehn:—die verborgene Geschichte der Philosophie, die Psychologie ihrer großen Namen kam für mich ans Licht. “Wie viel Wahrheit erträgt, wie viel Wahrheit wagt ein Geist?”—dies wurde für mich der eigentliche Werthmesser. Der Irrthum ist eine Feigheit ... jede Errungenschaft der Erkenntniß folgt aus dem Muth, aus der Härte gegen sich, aus der Sauberkeit gegen sich ... Eine solche Experimental-Philosophie, wie ich sie lebe, nimmt versuchsweise selbst die Möglichkeiten des grundsätzlichen Nihilismus vorweg: ohne daß damit gesagt wäre, daß sie bei einem Nein, bei einer Negation, bei einem Willen zum Nein stehen bliebe. Sie will vielmehr bis zum Umgekehrten hindurch—bis zu einem dionysischen Jasagen zur Welt, wie sie ist, ohne Abzug, Ausnahme und Auswahl—sie will den ewigen Kreislauf,—dieselben Dinge, dieselbe Logik und Unlogik der Knoten. Höchster Zustand, den ein Philosoph erreichen kann: dionysisch zum Dasein stehn—: meine Formel dafür ist amor fati ...
— Hierzu gehört, die bisher verneinten Seiten des Daseins nicht nur als nothwendig zu begreifen, sondern als wünschenswerth: und nicht nur als wünschenswerth in Hinsicht auf die bisher bejahten Seiten (etwa als deren Complemente oder Vorbedingungen), sondern um ihrer selber willen, als der mächtigeren, fruchtbareren, wahreren Seiten des Daseins, in denen sich sein Wille deutlicher ausspricht. Insgleichen gehört hierzu, die bisher allein bejahte Seite des Daseins abzuschätzen; zu begreifen, woher diese Werthung stammt und wie wenig sie verbindlich für eine dionysische Werthabmessung des Daseins ist: ich zog heraus und begriff, was hier eigentlich Ja sagt (der Instinkt der Leidenden einmal, der Instinkt der Heerde andrerseits und jener Dritte der Instinkt der Meisten im Widerspruch zu den Ausnahmen—) Ich errieth damit, in wiefern eine andere stärkere Art Mensch nothwendig nach einer anderen Seite hin sich die Erhöhung und Steigerung des Menschen ausdenken müßte: höhere Wesen als jenseits von Gut und Böse, als jenseits von jenen Werthen, die den Ursprung aus der Sphäre [des] Leidens, der Heerde und der Meisten nicht verleugnen können—ich suchte nach den Ansätzen dieser umgekehrten Idealbildung in der Geschichte (die Begriffe “heidnisch”, “klassisch”, “vornehm” neu entdeckt und hingestellt—)