Frühjahr-Sommer 1888 16 [1-89]
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Die Wirkung der Wagnerschen Kunst ist tief, sie ist vor allem schwer centnerschwer: woran liegt das? Zunächst gewiß nicht an der Wagnerschen Musik: man hält diese Musik sogar erst aus, wenn man bereits durch etwas Anderes überwältigt und gleichsam unfrei geworden ist. Dies Andere ist das Wagnersche Pathos, zu dem er sich seine Kunst bloß hinzuerfunden hat, es ist die ungeheure Überzeugungskraft dieses Pathos, sein Atemanhalten, sein Nichtmehrloslassenwollen eines extremen Gefühls, es ist die erschreckende Länge dieses Pathos, mit dem Wagner siegt und siegen wird, so daß er uns zuletzt selbst noch zu seiner Musik überredet ... Ob man mit einem solchen Pathos ein “Genie” ist? Oder auch nur sein kann? Wenn man unter Genie eines Künstlers die höchste Freiheit unter dem Gesetz, die göttliche Leichtigkeit, Leichtfertigkeit im Schwersten versteht, so hat Offenbach (Edm[ond] Audran) noch mehr Anrecht auf den Namen “Genie” als Wagner.
Wagner ist schwer, schwerfällig: nichts ist ihm fremder als Augenblicke übermüthigster Vollkommenheit, wie sie dieser Hanswurst Offenbach fünf, sechs Mal fast in jeder seiner bouffon[n]eries erreicht.— Aber vielleicht darf man unter Genie etwas Anderes verstehen.— Eine andere Frage, auf die ich ebenfalls erst [zu] antworten gedenke: ob Wagner, gerade mit einem solchen Pathos, deutsch ist? ein Deutscher ist? ... Oder nicht vielmehr die Ausnahme der Ausnahmen? ... Wagner ist schwer, centnerschwer, folglich kein Genie? ...