August-September 1885 40 [1-70]
40 [60]
Künstler-Pessimismus.— Es giebt sehr unterschiedliche Arten von Künstlern. Wenn Richard Wagner Pessimist sein muß, so zwingt ihn hierzu der Widerwille gegen sich selbst, der Wurm vielfacher Selbstverachtung, die Nothwendigkeit von Berauschungsmitteln, eingerechnet seine Kunst, um das Leben überhaupt auszuhalten, und wieder der Ekel hinter dem Rausche, zu alledem das Bewußtsein der Schauspielerei, der Druck der Unfreiheit, an welcher jeder leidet, der sich verkleiden muß, weil er sich selber nackt nicht aushält—, andrerseits der unersättliche Hunger nach Lob und Lärm, weil solche Komödianten sich ihren Glauben an sich immer erst von außen her und immer nur auf Augenblicke schenken lassen müssen:—es steht ihnen gar nicht frei, auf Lob und Lärm zu verzichten! Aber was helfen auch die wonnevollsten Augenblicke der vanitatum vanitas, was hilft aller Weihrauch, alle Selbst-Vergötterung! Gleich darauf gräbt der alte Gram von Neuem! und über alle Stürme der Leidenschaft, oder der als Leidenschaft maskirten Unenthaltsamkeit, wird zuletzt immer wieder eine innere schwache zögernde Stimme hervortönen, eine verurtheilende Stimme:—Solche Künstler verherrlichen in ihrer Kunst unwillkürlich und unvermeidlich ihr “Nicht-Ich” und alles, was den äußersten Gegensatz zu ihnen macht: die also, im Falle Wagners, alle ausschweifenden Tugenden z. B. die unbedingte Treue oder die unbedingte Keuschheit oder die Einfalt des Kindes oder die asketischen Selbst-Opferungen: so daß bis zu einem gewissen Grade man ein Recht hat, gegen den Charakter jedes Künstlers argwöhnisch zu sein, der immer gerade nur ausschweifende Tugenden verherrlicht: denn damit will er von sich los und verneint sich selber! Aber seien wir doch damit zufrieden! Zuletzt lobt und preist solch ein Künstler bei allem seinem Willen zur Weltverneinung etwas, das eben doch in dieser Welt möglich ist: die Kunst kann nichts anderes sein als Welt-Bejahung!— Und mein Einwand, meine Freunde, war kein Einwand.
Also mein Freund: man wird es seinem Urtheile anmerken, selbst wenn man demselben nicht beipflichtet, daß er Wagner sehr geliebt hat: denn ein Gegner nimmt seinen Gegenstand niemals so tief, wie er es thut. Es ist kein Zweifel, daß indem er an Wagner leidet, er auch mit Wagner leidet.