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Woher entsteht die Theorie von der Nachahmung? Und vom charakteristischen Stil?— Die Musik hatte noch nicht die zarteste Form ausgebildet: der charakteristische Stil und die Musik vertrugen sich nicht. Der Gedanke war noch nicht durchwärmt genug.
Die Geburt des Gedankens aus Musik zeigt sich bei Sophocles eben erst schattenhaft in der Weltbetrachtung. Bei Shakespeare Vollendung: eigentlich germanisch: Gedanken aus Musik zu gebären.
Daß Musik Gedanken erzeugen kann? Zunächst Bilder, Charaktere, dann Gedanken.
Der antike Mythus ist meist aus Musik geboren. Eine Bilderreihe. Es sind die tragischen Mythen.
Worin liegt die Verwandtschaft der Musik und des Tragischen? Das Tragische spricht die allgemeinste Form des Seins aus?
Und wodurch unterscheidet sich das Lyrische vom Tragischen?
Das Tragische kann ja nur eine Steigerung des Lyrischen sein: im Gegensatz zum Epischen.
Die Auflösung der Musik in einen Mythus ist das Tragische.
Der tragische Mythus verhält sich zur Lyrik, wie das Epos zum Gemälde.
Was ist hier der Mythus? Eine Geschichte, eine Kette von Ereignissen ohne “fabula docet,” aber als Ganzes Interpretation der Musik.
Die Lyrik eine Reihe von Affekten als Interpretation der Musik.
Der tragische Mythus Darstellung eines Leidens als Interpretation der Musik.
Das Epos—Geschichte als Reihe von Bildern. Relief.
Die Tragödie—Geschichte als Reihe von Affekten.
— Das speziell Dramatische gehört nicht zum Wesen des Tragischen. Es giebt auch ein dramatisches Epos.
Der tragische Chor sieht den Mythus wie der Rhapsode das Epos. Aber der Rhapsode erzählt ihn. Und zuerst erzählte der Chor auch die Tragödie. Wie sich Stesichorus zu Homer verhält—so jener tragische Chor zu dem Rhapsoden.
(Ist die Komödie vielleicht die dramatische Darstellung des Epos? Es ist nöthig—)?