1871 9 [1-151]
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Inhaltsangabe von “Musik und Tragoedie”
Einleitung.
An Wagner ist unsre Aesthetik zu Schanden geworden. Es fehlt ihr der Einblick in die Urphänomene. Sie verräth, daß ihr künstliche nachgemachte Vorbilder vorliegen. Für mich erläutert das leibhaft geschaute Phänomen Wagner’s zuerst negativ, daß wir die griechische Welt bis jetzt nicht verstanden haben, und umgekehrt finden wir dort die einzigen Analogien zu unserm Wagnerphänomen.
Hauptunterscheidung der dionysischen und der apollinischen Kunst: jede mit verschiedener Metaphysik.
Hauptfrage: welches ist das Verhältniß beider Kunsttriebe zu einander?
Dies erklärt die Geburt der Tragödie; hier nimmt die apollinische Welt die dionysische Metaphysik in sich auf.
Ungeheure Zeitperiode: wir erkennen in dieser Kunstform die Möglichkeit, trotz der Erkenntniß zu leben. Die Form des tragischen Menschen.
Für die Deutschen ist es eine Art “Wiederbringung aller Dinge.” Mächtiger Kampf der Civilisation gegen den Geist der Musik.
Die griechische Welt als die einzige und tiefste Lebensmöglichkeit. Wir erleben das Phänomen wieder, das uns entweder nach Indien oder nach Griechenland treibt. Dies das Verhältniß von Schopenhauer und Wagner.
Um diese Erkenntniß von der Musik zu bekommen, mußte sie durch Bach Beethoven Wagner sich gleichsam wiederfinden und aus dem Dienste der Civilisation erlösen. Sei die griechische Musik welche sie wolle, die Katharsisschilderung des Aristoteles erlaubt uns den Analogieschluß, daß sie für die Griechen dieselbe Wirkung hatte wie für uns, d. h. daß sie also nicht herabgesunken war zur gefälligen Kunst.
Nur wird die Musik eine unendliche Steigerung sein müssen, weil sie eine viel ausgebreitetere Welt der Erkenntniß zu überwinden hat. Das Wissen und die Musik läßt uns eine deutsche Wiedergeburt der hellenischen Welt ahnen:—der wir uns widmen wollen.